Asyl für kleine Vögel:Aufgepäppelt bis zum Abflug

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Ob kleiner Spatz, verlassene Amsel oder verletzter Eichelhäher: Die Geretsriederin Ingrid Brauner bietet seit mehr als 15 Jahren kleinen Vögeln Asyl. Das ist schon fast ein Vollzeitjob.

Konstantin Kaip

Seit mehr als 15 Jahren nimmt Ingrid Brauner im Frühling und Sommer in ihrer Wohnung am Geretsrieder Buchenweg saisonale Gäste auf. Zwölf sind es derzeit, wann sie wieder den Abflug machen, ist ungewiss. Eines aber ist sicher: Sobald sie können, fliegen sie davon.

Ingrid Brauner füttert einen Spatz: Die Geretsriederin hat schon vielen Vögeln das Leben gerettet. (Foto: Hartmut Pöstges)

Brauners Gäste sind kleine Vögel, die aus dem Nest gefallen sind und zu ihr gebracht werden. Brauner päppelt sie auf, bis sie die richtige Größe haben, und wildert sie dann wieder aus. Das hat sich im Ort und bei den Tierärzten herumgesprochen, und deshalb ist Brauners Wohnung praktisch alljährlich von Mai bis August ein Asyl für Nestflüchtlinge.

Neun Mauersegler piepsen derzeit in einem Karton in Brauners Küche, in einem weiteren hält sie einen kleinen Spatz und eine kleine Amsel. Ein größerer Spatz sitzt in seinem Käfig im Garten, "um sich ein wenig zu entfremden", wie Brauner sagt.

Bis vor wenigen Tagen wohnten da auch zwei Amseln, die Brauner inzwischen freigelassen hat. Weil die Tiere noch tagelang immer wieder zurückkommen, um sich Futter zu holen, hat sie die Käfigtür offen gelassen. Vier bis fünf Wochen müsse sie die Vögel in der Regel versorgen, bis sie flügge seien, erzählt die 56-Jährige. Bei den Mauerseglern dauere es zwei Wochen länger, "dafür fliegen die direkt los".

Die Vögel füttert Brauner mit einem Trockenfutter aus Insekten, das sie in Wasser einweicht. Sind die Tiere noch klein und ungefiedert, müssen sie mit einer Spritze "zwangsgefüttert" werden, erläutert Brauner. Wenn sie schon "sperren", also ihre Schnäbel aufreißen, nehme sie einen abgeschnittenen Strohhalm.

Ihr Wissen um die Aufzucht habe sie aus Büchern und aus dem Internet, aber auch von den Tierärzten, mit denen sie Kontakt habe, erzählt Brauner. Für den Geretsrieder Kleintierzüchterverein kümmert sie sich auch um die Ziervögel in der Voliere an der Hauptschule . "Im Laufe der Jahre habe ich immer dazugelernt".

Die Fürsorge für Vögel habe sie "wahrscheinlich geerbt". Von ihrer Mutter Gisela, die früher, bevor es das Tierheim in Gelting gab, "alles Mögliche" aufgezogen habe: Eichhörnchen, Marder, Füchse und auch viele Vögel. Bis heute kümmert sich die 83-Jährige um größere Exemplare wie Raben, Krähen und Elstern. Die filigrane Arbeit mit den Singvögeln bleibt der Tochter vorbehalten.

In vielen Fällen könnte die Mühe Ingrid Brauner jedoch erspart bleiben. Denn oft kümmern sich die Vogeleltern auch am Boden weiter um ihre flugunfähigen Jungen. Hilfe ist da gar nicht gefragt: "Viele nehmen sie aus Unwissenheit und Mitleid mit", sagt der Vorsitzende der Kreisgruppe Bad Tölz-Wolfratshausen des Landesbundes für Vogelschutz (LBV), Walter Wintersberger.

Wintersberger empfiehlt, Jungvögel, die aus dem Nest gefallen sind, erst einmal zu beobachten. "Normalerweise geben sie Laute von sich, weil ihre Mutter in der Nähe ist", sagt er. Erst wenn die Vogeleltern auch nach mehreren Stunden nicht zu sehen seien, solle man das Junge an einen Sachkundigen weitergeben.

Wie viele Vögel sie aufgepäppelt hat, kann Ingrid Brauner nicht sagen. Nur, dass ihre Bemühungen meist erfolgreich sind. 70 Prozent, schätzt sie, kämen durch, bei den Mauerseglern seien es sogar noch mehr. Schwierig werde es nur, wenn die Vögel noch nackt oder schwer verletzt sind. "Ein Vogel, den man einer Katze wegnimmt, hat kaum eine Chance", sagt Brauner. Auch wenn von außen nichts sichtbar sei, seien die inneren Verletzungen meist so stark, dass ihnen die Tiere nach wenigen Tagen erliegen.

Brauner versucht dennoch alles, abgelehnt hat sie noch keinen gefiederten Gast. Einmal habe ihr der Tierarzt Michael Kalk einen Eichelhäher gebracht, der am Flügel und am Fuß verletzt war. Nachdem sie ihn täglich mit einer homöopathischen Notfallsalbe behandelt und gefüttert habe, sei er im Garten zwischen Apfelbaum und Käfig hin- und hergeflogen. "Dann hat ihn der Marder erwischt." Ihr "Eichi" sei eines Abends nicht im Käfig gewesen, am nächsten Tag habe sie sein Gerippe gefunden.

Ihr Mann und ihre drei Kinder hätten sich längst an die gefiederten Gäste gewöhnt, sagt Brauner, "und meine Kolleginnen auch". Weil sie die Jungvögel alle halbe Stunde füttern muss, nimmt sie sie mit zur Arbeit in einer Wolfratshauser Reiseredaktion. Schwierigkeiten könnte den Sommergästen nur ein Mitbewohner Brauners machen: ihre Katze Shiva. Die habe zwar schon öfter einen Vogel angeschleppt, sagt Brauner. "Aber von meinen hat sie noch keinen erwischt."

© SZ vom 31.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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