Wohnungsnot:Der Umzug in die Idylle

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Weil es das Haus in der Stadt nicht mehr gibt, ziehen Familien ins Umland

Doris Näger

(SZ vom 29.1.2001) - Das Haus sieht zwar nicht aus wie im Trailer der Fernsehlotterie, aber es birgt eine Traumwohnung: Drei Zimmer unterm Dach, Küche und Bad mit Fenster, Kamin, großer Balkon, ein riesiger Speicher auf dem gleichen Geschoss, mehr als 100 Quadratmeter Wohnfläche. Dazu ein Garten, der so groß ist, dass das Mähen vier Stunden dauert. Swimmingpool und Tennisplatz hat der Nachbar schon zur Mitbenutzung angeboten. Und hinter den hohen dreieckigen Scheiben des Wohnzimmerfensters schieben sich Wolken vor den Alpenkamm.

"Hier kann man die Kinder wie Kühe auf die Weide lassen." Die neue Idylle der Michaels in Unterzeismering (Foto: Foto: Klaus Brenninger)

Doch leider steht das Haus nicht in München: Familie Michael ist raus gezogen.

Kurz vor der Geburt ihres jetzt acht Monate alten Sohnes Merlin haben Juliane und Oliver ein letztes Mal die Tür ihrer Altbau-Parkett-Wohnung in Haidhausen zugeschlagen, haben die S-Bahnhöfe hinter sich gelassen und ihre Sachen nach Unterzeismering gefahren.

Ihr neues Zuhause liegt zwar zwei Kilometer vom Tutzinger Bahnhof entfernt, ist aber erschwinglich und familiengerecht: 1900 Mark Miete, nur 300 Mark mehr als ihre kleinere Wohnung in Haidhausen.

"Wir haben mitangesehen, wie die Kinder der Nachbarn im Treppenhaus ihre kleinen Autos fahren ließen, wie sie in einem Sandkasten spielten, der eher einem Katzenklo ähnelte."

Der 33 Jahre alte Kinderarzt schüttelt sich beinahe bei dem Gedanken. "Hier", sagt er, "kann man die Kinder wie Kühe auf die Weide lassen." Oliver und Juliane möchten, dass ihr Sohn barfuß auf Bäume klettern kann, dass er Schneemänner rollt und sich an Rosen piekst, dass er seine eigenen Erfahrungen macht, sobald er läuft, und nicht immer beaufsichtigt werden muss.

In Haidhausen lag der Spielplatz jenseits einer Autopiste. Die Traumwohnung liegt abseits der Route Richtung Gebirge.

Hier haben Häuser selten mehr als zwei Geschosse. Hinter Zäunen wachsen Tannen, und Wegweiser sind aus Holz geschnitzt.

Es war Zufall, dass die jungen Eltern ausgerechnet hier eine alte Idee verwirklichten. Oliver hatte im Lokalblatt eine dürre dreizeilige Anzeige aufgegeben - als Versuchsballon.

Gleichzeitig erwogen die Vormieter, eine größere Wohnung zu suchen und antworteten auf dieses eine Inserat. Dann ging alles ganz schnell: Die Michaels kamen gar nicht mehr dazu, in München eine Familienwohnung für ihren Geschmack und Geldbeutel zu finden.

Es wäre schwierig genug geworden, und an die mühsame Wohnungssuche in ihrer Studienzeit konnten sich beide gut erinnern.

Sehnsucht Englischer Garten

Jetzt muss viel geplant und organisiert werden, weil die Michaels nur ein Auto haben. Das spontane Ausgehen ist schwieriger geworden, das kulturelle Angebot dürftig. "Früher sind wir eben am Abend kurz mit der Straßenbahn runtergefahren und haben geschaut, ob es in der Oper noch Studentenkarten gibt", erzählt Oliver etwas wehmütig.

Er, der auf der anderen Seite des Starnberger Sees aufwuchs, hatte sich wohl gefühlt in der Großstadt. "Ein bisschen schade ist es schon."

Er sehnt sich manchmal nach dem Treiben im Englischen Garten am ersten Frühlingstag: "In Unterzeismering kommen dann nur die Kühe raus."

Juliane, die sich den ganzen Tag um Merlin kümmert und ohne Auto im Dorf bleibt, fühlt sich bisweilen unterfordert: "In München hätte man das Kind eben eingepackt und wäre in eine Ausstellung gegangen", bedauert sie.

Sonnenaufgänge

Kurz vor dem Umzug hatte sich Juliane oft an die Wälder ihrer Kindheit im Düsseldorfer Vorort Ratingen-Hösel erinnert und den Tag herbeigesehnt, an dem sie auf dem Land ankommen würde.

Inzwischen sind ihr die schwierigeren Seiten des Lebens hier draußen vertraut - aber sie macht eine Einschränkung: Viele Veränderungen in ihrem Leben seien wohl eher eine Folge dessen, ein Kind zu haben, als auf dem Land zu wohnen.

"Unser Theater und unsere Oper, das haben wir jetzt eben hier", sagt Juliane und zeigt hinüber zu den Bergen vorm Fenster. Die Sonnenaufgänge, sagt sie, "die sind richtig kitschig hier. "

Die beiden jungen Eltern schwärmen von den vier Höfen in der Nachbarschaft, vom Bauern, der gleich wusste, wer sie sind. "Ich glaube nicht, dass einem das in Planegg passiert", meint Oliver.

Sie erinnern sich an den 1. Mai, ihren ersten Tag in Unterzeismering, als erst einmal ein Maibaum aufgestellt wurde. Abgesehen von Annehmlichkeiten wie dem offenen Kamin ("Davon hätte ich nie zu träumen gewagt"), dem See ein paar Meter unterhalb und der Milch frisch von der Kuh, schätzt Juliane die Kontaktfreudigkeit im Dorf. "Ich rede hier öfter mit anderen Leuten als in München. "

Im Gegensatz zu vielen anderen jungen Familien haben sie den Vorteil, dass das Leben auf dem Land ihre Wege verkürzt: Oliver arbeitet seit vier Jahren am Starnberger Krankenhaus, und wenn die beiden am Abend nach München wollen, fahren sie gegen den Autostrom.

Ernsthaft bereut haben sie den Schritt noch nie: "In München zu wohnen, war eine Phase", sagt Oliver. Ob sie am Ziel ihrer Träume sind? "Wer weiß schon, wie das beruflich weitergeht", sagt er, "vielleicht ziehen wir auch irgendwann wieder in die Stadt. "

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