WM-Wahnsinn:Der lange Marsch zum Ticket

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650 Kilometer zu Fuß, 32 Tage durch Deutschland: Was zwei Berliner bei ihrem Lauf nach München erlebten, und warum sie die Strapazen überhaupt auf sich nahmen.

Nadja Katzenberger

"Jetzt fahr' ich nur noch Auto", verkündet Nils Bader und lässt sich im Wohnmobil ins Cord-Polster sinken. Der Berliner und seine Freundin Stefa Schick sind am Ziel ihrer Träume angekommen: Nach 32 Tagen und 650 Kilometern Fußmarsch ist dies der staubige Parkplatz vor dem Fröttmaninger Stadion.

Nils Bader und Stefa Schick mit ihrem Begleiter Rüdiger Laube (hinten). (Foto: Foto: Haas / SZ)

"Wie weit würdest du für WM-Tickets gehen?" Irgendwann im vergangenen Winter stand diese Frage plötzlich im Raum. Stefa, 28, und Nils, 36, beide für Multimedia-Agenturen in Berlin tätig und seit Jahren gut befreundet, wollten unbedingt zur WM, nur Karten hatten sie keine.

Bei unzähligen Verlosungen und Gewinnspielen hatten sie mitgemacht, nichts klappte. Der Lebenstraum - bei der WM im eigenen Land im Stadion dabei sein - wollte sich einfach nicht erfüllen. "Wie weit würdest du also gehen für Tickets?", fragte Stefa beim Frühstück. "Bis vors Stadion!", antwortete Nils.

Bis zur Arena, auch ohne Tickets

Schon da sei die verrückte Idee beschlossene Sache gewesen, sagen beide sechs Monate später. Bis vor die Münchner WM-Arena wollten sie laufen und bei einem Spiel dabei sein. "Auch ohne Karten." Auf was sie sich da einließen, dämmerte den überzeugten Stadtbewohnern und Sportverweigerern erst nach und nach.

Aber weil sie eben Multiamedia-Fachleute sind und sich mit Marketing auskennen, war einfach loslaufen nicht drin. Anfang des Jahres begannen sie, die Aktion "Walk of Fan" zu planen, schrieben Sponsoren an, legten die Route fest, begannen mit dem Fitnesstraining. Alle Firmen und Unternehmen waren begeistert, aber Karten hergeben wollte keiner.

Trotzdem: Im Mai nahmen Stefa und Nils ihren gesamten Jahresurlaub und alle Überstunden und liefen am Berliner Olympiastadion los. Mit dabei Rüdiger Laube, gelernter Automechaniker, der im braun-lackierten Wohnmobil, Baujahr 1977, vorauszuckelte und nach jeder Etappe auf die beiden Läufer wartete. Und schon am ersten Tag das Wohnmobil reparieren musste. Die Öldruckleitung war geplatzt.

Begehrtes in gelb-grün: So sieht sie aus, die gefragte Pappe. (Foto: Foto: Reuters)

Pro Tag schafften Nils und Stefa gut 20 Kilometer, liefen durch Potsdam, Dessau, lernten Dörfer namens Treuenbrietzen oder Zwenkau kennen und schlugen sich durch bis zum Leipziger WM-Stadion. Dort waren die Berliner hautnah dabei, als holländische Arbeiter in FC-Bayern-Trikots den kostbaren Rasen verlegten.

"Schmerzen, für die es keine Salben gibt"

Fast überall war der Empfang großartig: Bürgermeister warteten im Rathaus, verteilten Maskottchen, organisierten spontane Grillpartys auf dem Marktplatz oder schlossen schnell mal noch das Schwimmbad auf. Kurz vor Hof überquerten Nils und Stefa die Grenze nach Bayern, die Hälfte war geschafft. In Nürnberg übernachteten sie vor dem Stadion und bekamen das erste Knöllchen, in Ingolstadt wartete schon ein kleiner Fanclub mit Transparent.

"Die Welt zu Gast bei Freunden" - Nils und Stefa nahmen's ernst und wollten wissen, wie sich Deutschland auf die WM vorbereitet. "Außerdem war es eine Herausforderung, das eigene Land kennenzulernen", sagt Stefa, die nach vier Wochen noch gar nicht fassen kann, am Ziel zu sein. Fast die komplette Strecke mussten die beiden im Regen zurücklegen, nach wenigen Kilometern waren ihre Regenjacken so durchgeweicht, dass ein Freund Abdeckplanen aus dem Baumarkt vorbeibrachte.

"Ihr werdet Schmerzen haben, für die es keine Salben gibt", hatte ihnen noch ein Fitnesstrainer prophezeit, aber da zahlte sich die Vorbereitung aus: "Ich hab's mir schlimmer vorgestellt", sagt Stefa, nippt mit leuchtenden Augen am Sekt und zieht sich eine Deutschland-Fahne um die braungebrannten Schultern.

Nach 650 Kilometern am Ziel

In Gera muss der Durchhaltewille noch einmal auf dem Prüfstand - denn da sind sie eigentlich schon am Ziel: Die Marketingabteilung eines Computerherstellers ruft an und schenkt Nils und Stefa zwei Karten. Für das Eröffnungsspiel in München. Doch die beiden laufen weiter, sie wollen bis vors Stadion. Und versuchen, für Fahrer Rüdiger auch noch eine Karte aufzutreiben.

Sein Traum hat sich nicht erfüllt - während Nils und Stefa ausnahmsweise mal nicht laufen, sondern im Stadion sitzen, hütet er wieder das Wohnmobil. Nils und Stefa dagegen können immer noch nicht glauben, dass sie mehr als 650 Kilometer hinter sich haben. Aber sie wissen jetzt, dass es sich lohnt, einem Traum entgegen zu laufen. Bis nach München auf jeden Fall.

© SZ vom 23.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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