WM-Muffel:Tooor! - Na und?

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Zwischen Fußball-Lust und Fußball-Frust: Beobachtungen in zwei Lokalen.

Melanie Longerich

Er hätte es wissen müssen, die Sache mit der WM und dass Deutschland gegen Schweden spielt. Klaus Huber erwürgt verärgert die Reste seiner Zigarre im Aschenbecher. Der Frührentner aus Bogenhausen wollte am Samstagnachmittag eigentlich durch die Innenstadt flanieren und den Sommerabend genießen.

Nicht jeder schaut so gebannt die WM-Spiele. (Foto: Foto: Haas / SZ)

Stattdessen müsse er sich nun im Arzmiller verschanzen. Das Café im Theatinerhof liegt im kühlen Halbschatten. Die wenigen Gäste sind vorwiegend Frauen. Huber späht durch den Torbogen auf die Theatinerstraße. Dort wälzen sich die deutschen Fans fahnenschwenkend zu den Großleinwänden im Hofgarten. "Deutschelooond, Deutschelooond" - ihr Schlachtruf hallt bis ins Café. Huber wischt sich über die Augen: "Dieser neue Nationalstolz ist befremdend und schockierend."

Siegprämie: Leberkäs

Während sich Huber überlegt, von Kaffee auf Cognac umzusteigen, erhebt sich im Biergarten des Cafés Luigi Tambosi im Hofgarten die deutsche Nationalhymne. Die Menschen stehen dicht gedrängt vor den beiden Leinwänden, in den hinteren Reihen sogar auf Stühlen und Tischen. Ein Student im Podolski-Shirt jongliert mit Deutschlandfahnen. Vereinzelte Schweden schwenken schüchtern ein Fähnchen. Die Übermacht ist groß: "Ihr seid nur ein Möbellieferant", schallt es aus deutschen Kehlen. Manchmal ist es gut, nicht alles zu verstehen.

Dann ein Aufschrei: "Toooooor". Während das erste Tor für die deutsche Nationalelf fällt, fischt sich Erich Katzbichler im Café Arzmiller gerade die Kirschdekoration von seiner Eisbombe. Eigentlich wollte er mit Frau Ursula zur HVB-Festspielnacht zu den Fünf Höfen. Dabei hat der Unternehmer gar nichts gegen Fußball: "Doch heute ist das kein ehrlicher Sport mehr, heute geht es nur noch ums Geld." Selbst aufgewachsen neben dem Sechzger-Stadion, habe er damals für den Eintritt 30 Pfennig gezahlt: "Und wenn die Mannschaft ein Spiel gewann, gab's für sie zur Belohnung eine Mass Bier und eine Portion Leberkäs. Mehr nicht."

Jürgen Klinsmann rauft sich im Biergarten auf der Großleinwand die Haare. Peter Mößler schaut gar nicht hin. Fußball ist nicht sein Ding. Auf seinem Kopf thront ein riesiger Hut in schwedischen Nationalfarben. Ein Mitbringsel des schwedischen Teils seiner Familie, die für das Spiel angereist ist. Während er seinen schwankenden Hut richtet, feuert Schwiegertochter Petra unter den mitleidigen Blicken bierseliger Münchner ihr Team an.

Laptop im Biergarten

Als das zweite Tor für die Deutschen fällt, schnellt Peter Seitz aus seinem mitgebrachten Campingsitz und filmt mit der Videokamera die Familie. Die lächelt gequält. "Jetzt jubelt doch alle mal." Doch Ehefrau Gabriele muss ruhig bleiben, auf ihren Knien thront der Laptop, ausgerüstet mit DVB-T. "Im Biergarten kann man nichts sehen, dafür ist die Stimmung super", erklärt Peter Seitz die Idee. Muss sich dann aber wieder positionieren. Er will das Spielende nicht verpassen: "Das sind besonders emotionale Szenen." Er sollte recht behalten.

Während die Deutschlandfans sich in den Armen liegen, ordern Erich und Ursula Katzbichler die Rechnung. Sie müssen sich beeilen: "Diese betrunkenen Fans machen mir Angst", sagt sie und zückt das HVB-Programmheft. Bei der Eröffnungsnacht der Opernfestspiele liest am Abend Roger Willemsen. Den will sie nicht verpassen. Sie muss etwas schreien, um die Fanchöre zu übertönen: "Der ist so kultiviert."

© SZ vom 26.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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