Wirtschaftsflaute:Zu viele, die zu wenig haben

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Von der wachsenden Mittellosigkeit vieler Bürger profitieren derzeit die Berufsgruppen, bei denen die Betroffenen am Ende landen. Während diese ein halbes Jahr auf einen Termin bei der Schuldnerberatung warten, schlägt in der Zwischenzeit der Gerichtsvollzieher zu.

Anja Burkel

(SZ vom 22. Mai 2003) Wer heute einen persönlichen Termin bei der Caritas-Schuldnerberatung vereinbaren möchte, muss sich bis Oktober gedulden - bis dahin ist die Warteliste dicht.

Wenn Menschen keine Möglichkeit haben, ihre Schulden zu begleichen, kommt der Gerichtsvollzieher mit dem "Kuckuck". (Foto: dpa)

"Wir merken die schlechte wirtschaftliche Lage deutlich", sagt Berater Peter Schubert matt, "ich arbeite an der Grenze meiner Belastbarkeit." Viele Menschen rufen schon an, sobald die Arbeitslosigkeit auch nur drohe. "Die Leute wissen: Sie finden nix mehr."

Eine Putzfrau erzählte ihm in dieser Woche: Für einen neuen Putzjob müsse sie heutzutage ein komplettes Bewerbungsschreiben aufsetzen und habe trotzdem schlechte Chancen auf eine Einstellung. Früher habe sie sich beim Arbeitgeber nur kurz vorgestellt - und meistens sofort eine Zusage bekommen.

Die Banken haben kalte Füße

Im Büro der Schuldnerberatung in der Altstadt komme man gerade noch dazu, knappe telefonische Auskünfte zu geben. "Massiv" mache sich auch eine neue Kreditpolitik der Banken bemerkbar: "Viele Institute haben kalte Füße gekriegt - das verschärft die Geschichte."

Gerade bei selbständigen Kleinunternehmern seien die Banken vorsichtig geworden - "während sie früher vielleicht dachten: Warten wir's ab, der rappelt sich schon wieder auf."

Ähnlich ist die Situation in der Städtischen Schuldnerberatung: "Wenn heute jemand eine Regulierungsberatung wegen eines Insolvenzverfahrens benötigt, muss er mit Wartezeiten von zwei bis drei Monaten rechnen. Um ein Fünftel seien die Anfragen schätzungsweise nach oben gegangen - sowohl nach Kurzberatungen als auch nach langfristiger Unterstützung.

Die Schuldner-Schwemme kommt erst noch

Besonders die Kleingewerbetreibenden seien betroffen, Leiter von Ein-Mann-Betrieben, die oft nur einen Rat wollten: Weitermachen oder Hinschmeißen? Die größte Schuldner-Schwemme sieht Peter Schubert von der Caritas-Schuldnerberatung allerdings erst in zwei Jahren kommen, dann aber "ganz sicher".

"Viele gehen jetzt baden mit ihren Krediten und versuchen dann erstmal, sich irgendwie durchzulavieren. Schon jetzt hätten deutlich mehr Menschen mit dem Gerichtsvollzieher zu tun. In Zahlen: 45.403.325 Euro haben die im Bezirk des Amtsgerichts München im vergangenen Jahr eingetrieben - das sind 20 Prozent mehr als im Vorjahr.

Insgesamt bewältigten die rund 100 Gerichtsvollzieher 174.000 Vollstreckungsaufträge. Die Leute haben einfach immer mehr Schulden", sagt eine Gerichtsvollzieherin. "Die höhere Arbeitsbelastung spüren wir natürlich auch."

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