Wiesn-Überwachung:Mit Big Brother gegen die Angst

Lesezeit: 3 min

Zwölf Kameras, so viele wie nie zuvor, beobachten das Geschehen auf der Theresienwiese. Erstmals wird auch die Wiesnwache überwacht - zum Schutz der Polizisten. Diese wollen so den Vorwurf, sie greifen zu hart durch, widerlegen.

Von Christian Rost

Noch stehen nicht alle Computer, Funkgeräte und Videobildschirme auf ihrem Platz, da hat der neue Behörden-Bau auf der Theresienwiese schon seinen Spitznamen weg: "Trutzburg".

Das Servicezentrum auf der Theresienwiese ist technisch auf dem neuesten Stand. (Foto: Foto: Sandra Müller)

So nennt man bei der Polizei den kupferfarbenen Kasten, der unterhalb des neuen Bürokomplexes "Theresia" während der Wiesnzeit auch dem Roten Kreuz, der Feuerwehr, der Festleitung, dem Gesundheitsamt, dem Fundbüro und dem TÜV zur Heimstatt wird.

In diesem Jahr arbeiten 400 Mitarbeiter von zwölf Behörden in dem festen Bau. Fast zwei Jahrzehnte lang mussten sie sich mit einem Container begnügen, während die Fahrbetriebe und Wirte stets mit neuestem Gerät und den schmucksten Zelten aufwarteten.

So abweisend der von Architekt Volker Staab konzipierte Bau von außen wirkt mit seinen engmaschigen Gittern vor den Fenstern, so angenehm ist die Atmosphäre im Inneren. Durch grün getöntes Glas fällt an der Rückseite ausreichend Licht in den 84 Meter langen Block, die begrünten Lichtschächte können als Mini-Gärten zur Entspannung genutzt werden.

Zwischendurch mal abschalten

Denn Abschalten müssen die Polizisten, Feuerwehrleute, Ärzte und Sanitäter auch mal zwischendurch - kein Wunder bei gleichzeitig bis zu 275.000 Gästen auf der Wiesn mit allen deren Nöten, Ausrastern und sonstigen Katastrophen, die es zu bewältigen gilt.

Mit dem Behörden-Bau, der von der Stadt München in nur einem Jahr hochgezogen wurde, kommt auch ein neuer Wachleiter aufs Oktoberfest. Polizeioberrat Gerhard Bayer, Chef der Sendlinger Inspektion, ist erstmals für die Sicherheit auf dem größten Volksfest der Welt verantwortlich. Der Vater von zwei Kindern kennt sich aus mit Großeinsätzen.

Schon in leitender Funktion bei der Bereitschaftspolizei, musste der 42-jährige Oberpfälzer "größere Lagen" meistern. 300 Polizisten, die sich alle freiwillig für den Dienst am Oktoberfest gemeldet haben und derzeit noch eigens dafür trainiert werden, hören hier auf ihn.

An Folter erinnernde Vorkommnisse

Nachdem 1998 einige Beamte während des Wiesneinsatzes komplett ausgerastet waren und mit an Folter erinnernden Vorkommnissen damals den Ruf der Polizei ruinierten, setzt die Ordnungsmacht jetzt auf Transparenz:

Von der Theke direkt am Eingang können Besucher bis zu den Haftzellen mit ihren 20 Plätzen sehen, mitten im Geschehen sitzt hinter großen Glasscheiben der jeweilige Schichtleiter auf einem Podest, um die Situation zu überwachen. "Und auch um einzugreifen", wie Bayer sagt. Der 42-Jährige setzt sich für eine "offene und faire" Polizeiarbeit ein.

Nicht nur deshalb, auch auf den Wunsch vieler Polizisten hin wird das Innere der Wiesnwache videoüberwacht. Die Zustimmung bei den Beamten für Big Brother sei so groß, weil sie sich häufig mit falschen Anschuldigungen konfrontiert sähen, so der Polizei-Chef. Eine Videodokumentation helfe dabei, Vorwürfe der überzogenen Härte auszuräumen. Oder gegebenenfalls auch zu bestätigen und zu verfolgen.

Statt sieben Kameras nun zwölf

In einem Ausmaß wie nie zuvor wird 2004 das Oktoberfest selbst per Video überwacht. Nach sieben Kameras im vergangenen Jahr sind es nun zwölf, die die Hauptachsen auf dem Gelände sowie die so genannten dunklen Angst-Räume hinter den Zelten filmen. Laut Bayer sollen damit vor allem Sexualdelikte und Diebstähle verhindert werden.

In den Zelten wird es keine Kameras geben, schließlich sind hier allein die Wirte als Hausherren und deren Sicherheitsleute für die Ordnung verantwortlich. Damit es seitens der Ordner nicht zu Übergriffen kommt, hat das Kreisverwaltungsreferat der Stadt den Sicherheitsfirmen spezielle Schulungen für Ausnahmesituationen verordnet.

Nicht mehr zum Wiesnbild gehören von heuer an übrigens die Militärpolizisten der US-Armee. Jahrelang hielten die muskelbepackten MPs gemeinsam mit ihren Münchner Polizei-Kollegen Ausschau nach Randalierenden, wobei sie sich letztlich nur für US-Soldaten interessierten. Mangels trunkener GIs verzichten die Amerikaner nun auf ihren "Special Service", der nichts anderes war, als die Soldaten einzufangen und zurück in die Kasernen zu karren.

Treu bleiben dem Oktoberfest aber die italienischen Sicherheitsbeamten. Die Carabinieri mit ihren schmucken, bunten Uniformen filtern schon bei der Anreise in den Zügen dubiose Gestalten aus. Wobei es sich sicher der eine oder andere Polizeioffizier nicht nehmen lassen wird, sich auch auf dem Fest zu zeigen.

© SZ vom 13.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: