Wiesn-Klima:Atoll der Bierzelte

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Ein Meteorologe untersucht das Mikroklima von Volksfesten - die Wiesn dampft besonders. Die Temperatur auf der Theresienwiese ist bis zu zehn Grad höher als in der Stadt. Warum der Wetterbericht auf dem Oktoberfest keine Gültigkeit hat.

Von Philip Wolff

Die Atmosphäre ist aufgeheizt, feuchtfröhlich und stellenweise benebelt. Was für die Befindlichkeit der Volksseele auf dem Oktoberfest gilt, haben Wissenschaftler jetzt erstmals auch als physikalische Realität derartiger Großveranstaltungen beschrieben.

Bei soviel Andrang steigt die Temperatur. (Foto: Foto: dpa)

Auf den 31 Hektar der Münchner Theresienwiese herrscht demnach zurzeit ein messbar verändertes Mikroklima, das mit den Wetterdaten der Umgebung nicht viel gemeinsam hat. Um bis zu 18 Grad, sagen Meteorologen, könne die Festwiese in den Abendstunden wärmer sein als das Umland der bayerischen Landeshauptstadt - und um bis zu zehn Grad wärmer als die stadtklimatisch bedingt stets angewärmte City selbst.

Tropische Bedingungen

Dazu herrscht eine 30 bis 40 Prozent höhere Luftfeuchtigkeit: tropische Bedingungen also, auch außerhalb der Zelte, die das tropische Tanz- und Trink-Verhalten der Festgäste begünstigen. Durchschnittlich mehr als 400.000 Besucher pro Tag bringen sich und die Umgebung damit so zum Schwitzen, dass man für das Oktoberfest schon seit Jahren komplette eigene Wetterberichte hätte schreiben können.

Daran arbeitet jetzt erstmals ein deutscher Wetterforscher. Der Meteorologe Karsten Brandt aus Bonn hat jüngst die weltweit erste Studie über Mikroklima-Effekte von Volksfesten auf dem Kongress der Amerikanischen Meteorologischen Gesellschaft im kanadischen Vancouver vorgestellt - und die Fachleute dort mit seinen Ergebnissen überrascht:

Die Temperaturen auf Festen von der Größe des Münchner Oktoberfests, etwa auf dem Cannstatter Wasen, aber auch auf kleineren, fast zeitgleichen Veranstaltungen wie der Eisleber Wiese, dem Oldenburger Kramermarkt oder dem Bonner Pützchens Markt können weit höher liegen als erwartet. Dem zunächst subjektiven Hitzegefühl im Festgewühl war Brandt 2003 mit Kollegen von der Universität Duisburg-Essen auf Pützchens Markt in Bonn nachgegangen.

Es war ein frühherbstlicher September mit Abendtemperaturen um die 13 Grad. In der Mitte des acht Hektar großen Festgeländes hatte der Meteorologe vom Internet-Dienst donnerwetter.de eine Klima-Messstation zwei Meter über dem Boden installiert und begab sich zu Fuß mit Messgeräten unter die Besucher.

Jede Person setzt 200 Watt pro Stunde frei

80.000 kamen in den Abendstunden, wenn die Lichter angingen und die Bratereien die Herde hochdrehten. Der Stromverbrauch der Buden und Fahrgeschäfte habe an den fünf Festtagen insgesamt 243.000 Kilowattstunden betragen, sagt Brandt - was allein seine Messergebnisse jedoch nicht erklären konnte.

Der Strom allein habe das Acht-Grad-Plus auf dem Festplatz nicht verursachen können. "Allerdings weiß man aus Versuchen in Klimakammern, dass jede Person, die sich mit etwa drei Kilometern pro Stunde fortbewegt, Wärme von 200 Watt freisetzt", sagt Brandt. "Zu 60 Prozent musste der Wärme-Effekt des Festes also von den Tausenden Menschen ausgehen, und nur zu etwa einem Drittel vom Stromverbrauch."

Im Menschengedränge hatte Brandt einen Strahlungsfluss von knapp 300 Watt pro Quadratmeter gemessen. Mit all diesen Faktoren (Geländegröße, Besucherzahl, Energieverbrauch) fütterte er einen Prognose-Rechner zur Mikrowetter-Simulation, an dessen Verbesserung er derzeit arbeitet. Auf Wunsch versorgt er bereits Veranstalter mit individuellen Festwetterberichten.

Die Daten des Münchner Oktoberfests lauten: Bis zu einer halben Million Besucher am Tag verändern das Mikroklima, bei 2,9 Millionen Kilowattstunden liegt der Gesamtstromverbrauch an den 16 Festtagen, zu Spitzenzeiten entspricht die Leistung derjenigen einer Kleinstadt mit 21.000 Einwohnern. Zudem werden 200.000 Kubikmeter Erdgas verheizt.

Damit könne es bei freundlichem Wetter zwischen 20 und 21 Uhr auf der Wiesn bis zu zehn Grad wärmer sein als in der restlichen Stadt, sagt Brandt. An wechselhaften Tagen lägen die erwartbaren Unterschiede hingegen nur bei etwa drei Grad, weil Wind die Luft durchmischt oder Regen sie abkühlt.

"Hitze-Insel"

Von den Morgenstunden bis zum Mittag können sich die Veranstalter nach Brandts Studie allerdings ebenso gut mit gängigen Regional-Wetterberichten behelfen. An den Nachmittagen und Abenden jedoch baue sich auf Volksfesten bei günstiger Wetterlage eine kraftvoll strahlende "Hitze-Insel" auf.

Noch bis in 50 Meter Höhe über dem Bonner Marktgeschehen habe er am 13. September 2003 abends eine Temperatur von 20 Grad gemessen - während die weitere Umgebung bereits auf zwölf Grad abgekühlt war.

"Die aufsteigende Warmluft enthielt pro Kubikmeter zwei bis drei Gramm Wasser", sagt Brandt, was einem Feuchtigkeits-Plus von etwa 30 Prozent entsprochen habe. "Über manchen Festen sieht man regelrecht den Nebel stehen."

Die Feuchtigkeit der aufsteigenden Warmluft kann in kühleren Höhen kondensieren und ohnehin vorhandene Regenwolken verstärken. Bei Windstille könnte man sich sogar Folgen wie verstärkten Niederschlag ausrechnen.

"Dass Feste ihren eigenen Regen machen, halte ich allerdings für sehr unwahrscheinlich", sagt Brandt. Pützchens Markt in Bonn sei für so einen Effekt, wie er etwa als Industrieschnee bekannt ist, viel zu klein. Und auch beim größten Volksfest der Welt sei damit nicht zu rechnen, bestätigt der Münchner Stadtklimatologe Michael Sachweh: "Im Gesamteffekt für die Umgebung ist das Oktoberfest zu vernachlässigen."

"Schauerneigung verstärkt"

Auch deshalb, weil Münchens Stadtklima ohnehin kaum Wolken produziert. Die Stadt gilt als warme Trockeninsel im feuchteren Umland. Sie ist so dicht bebaut, dass Regen schneller abfließt als verdunstet, weshalb die aufsteigende Münchner Warmluft trocken ist.

"Es ist zwar denkbar, dass sie in einem regenreichen Sommer mal feuchter ist und, weitergetragen durch Höhenwinde, am Stadtrand die Schauerneigung verstärkt", sagt Sachweh. Aber selbst dieser gesamtstädtische Effekt sei so gering, dass man ihn nicht nachweisen kann.

Ins Gewicht fallen somit allein die Temperaturunterschiede - vor allem im Vergleich zum spärlicher Wärme speichernden Umland. "Wer von dort zur Wiesn fährt, sollte sich daher immer dickere Kleidung für die Rückfahrt mitbringen", rät Sachweh.

© SZ vom 21.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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