Wiesn-Bilanz:"Manchmal vermisse ich unsere alte Gemütlichkeit"

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Willy Heide, der ehemalige Sprecher der Wiesn-Wirte, zieht Bilanz und sorgt sich um den traditionellen Charakter des Oktoberfestes.

Interview: Joachim Käppner

Willy Heide, Jahrgang 1919, ist seit 60 Jahren im Festzelt "Bräurosl" dabei. Er war lange Zeit Sprecher der Wiesn-Wirte, er ist Erfinder des traditionellen Wiesn-Konzerts am ersten Sonntag. Noch immer hält er das Oktoberfest für einzigartig, und doch, meint er, müsse man "höllisch aufpassen", dass es nicht zur Großdisco verkomme.

Seit 60 Jahren ist Willy Heide auf der Wiesn aktiv - und noch heute, wie hier beim Standkonzert der Wiesn-Kapellen, gibt er gelegentlich den Takt an. (Foto: Foto: Haas)

SZ: Herr Heide, wie war die Wiesn? Sie können ja vergleichen: Immerhin sind Sie schon seit 60 Jahren dabei.

Heide: Ach, diese war besonders schön. Das Wetter war traumhaft, die Bräurosl war gut besucht, die Stimmung fröhlich und friedlich. Das muss man sagen, wenn man an früher denkt. Da war nicht alles besser damals. Leider gab"s jetzt draußen noch ein paar böse Gewalttaten. Aber insgesamt: So wenig Probleme wie heuer hatten wir im Zelt selten. Ich denke, da hat sich die schöne Stimmung von der Fußball-WM fortgesetzt.

SZ: Früher waren Ihre Gäste rabiater?

Heide: Einige auf jeden Fall. Wissen Sie, was der Maurer-Montag war?

SZ: Man kann es vielleicht ahnen, aber ehrlich: Nein.

Heide: Das ist auch lange her. In den Fünfzigern wurde ja viel gebaut, wegen der Kriegszerstörungen. Und die Baufirmen haben an einem Montag auf der Wiesn für ihre Männer gebucht, am Maurer-Montag eben. Den haben wir gefürchtet. Die Maurer haben viel vertragen, aber auch viel Streit angefangen, richtige Streithähne waren das. Und dann hams gerauft - aber wie!

SZ: Was ist geschehen?

Heide: Wenn die kamen, hat man als Wirt schon gewusst: Heute langen die zu. Wir hatten damals noch nicht so viele Ordner wie heute, aber 40 Herren waren"s seinerzeit schon. Alles gestandene Mannsbilder.

SZ: Wie viele haben Sie heute?

Heide: Bestimmt doppelt so viele. Die müssen jedoch vor allem die Zugänge kontrollieren, wenn das Zelt so voll ist. Das gab`s früher auch nicht, dass man gar nicht mehr neikommt ins Zelt. Aber jedenfalls, damals haben wir die Ordner per Annonce in der Zeitung gesucht: Wir suchen stämmige Männer für den Ordnungsdienst. Aber wenn"s bei diesem Montag spät wurde, konnten die nichts mehr machen gegen die Maurer. Da kamen ganze Hundertschaften Schutzpolizei ins Zelt, bis wieder a Ruh war. Das war nicht schön für den Wirt.

SZ: Gab es viele Verletzte?

Heide: Eigentlich nicht so viele. Dabei haben einige dem Gegner kräftig einen Maßkrug übergezogen...

SZ:... was heute streng bestraft wird.

Heide: Das hat man damals nicht ganz so gesehen. Aber es gab noch die Krüge, da waren die Verletzungen nicht so schwer wie bei den Gläsern von heute. (Die Bedienung erscheint)

Kellnerin: Griaß Di. Mögen Sie ein Bier?

SZ: Gern. Sie auch?

Heide: Soll ich Ihnen was verraten?

SZ: Auch gern. Was denn?

Heide: Ich trinke niemals Bier auf der Wiesn.

SZ: Sie sind seit 60 Jahren Wiesn-Wirt und trinken kein Bier?

Heide (lacht): Das habe ich nicht gesagt. Bier trinke ich schon - nur nicht auf der Wiesn. Das ist zu anstrengend. Das haltst ned durch den ganzen Tag. Ich muss den Kopf klar haben fürs Geschäft. Aber am Abend daheim, da trinke ich gern eins oder auch einen schönen Schoppen. Aber in der Bräurosl - nie!

SZ: Wie hat sich denn die Wiesn verändert im Vergleich zu früher, mal abgesehen vom Raufen?

Heide: Irgendwann war es mit den großen Raufereien vorbei. Mein Papa hat später einmal gesagt: Die Gäste werden immer fauler, nicht mal mehr raufen tun sie noch. Damals, also in den fünfziger und sechziger Jahren, war"s ruhiger und gemütlicher. Die Musik war leiser, die Fahrgeschäfte weniger und haben auch nicht diesen Krach gemacht, im Zelt ging"s gelassener zu. Damals sind mein Herr Papa und ich abends von Tisch zu Tisch gegangen und haben die Gäste begrüßt. Wenn ich das heut mache, schauen mich manche an wie ein Mondkalb. Am Abend versteht man ohnehin nichts mehr wegen der lauten Musik. Aber so macht's den Leuten halt Spaß, und das ist ja das Schöne an der Wiesn, der Spaß.

SZ: Können Sie sich noch an Ihre erste Wiesn erinnern?

Heide: Aber natürlich. Das war 1936, und wie heuer war traumhaftes Wiesn-Wetter - am Anfang. Und wir hatten die Bräu-Rosl ganz neu. Mein Papa war ein sehr guter Lehrmeister als Wiesn-Wirt. Viel zum Feiern bin ich nicht gekommen. Damals war ich 17 und habe all die Tage Krügerl gewaschen und Hendl aufgesteckt. Und das Improvisieren habe ich gelernt. Damals fielen in der zweiten Woche 30 Zentimeter Schnee. Da haben wir mit dem Schneepflug geräumt und im Zelt große Öfen aufgestellt. Die Wiesn im Schnee, so war das.

SZ: Ihre erste Wiesn war ja in der Nazizeit, was hat das für Sie bedeutet?

Heide: Nichts Gutes. Ich bin Jahrgang 1919 und habe deshalb den gesamten Krieg als Soldat miterlebt.

SZ: Was haben Sie erlebt?

Heide: Eines kann ich sagen: Ich war der kleinste Hauptfeldwebel der gesamten deutschen Wehrmacht (lacht). Aber im Ernst: Die Jahre im Leben eines jungen Mannes, die eigentlich die schönsten sein sollten, die waren hart und grausam. Ich musste mit zum Russlandfeldzug, bekam dort dann den Flecktyphus und kam zum Ersatztruppenteil. 1944 war ich in Südfrankreich, bis die Alliierten dort landeten. Dann war ich vier Jahre in Gefangenschaft bei Tripolis in Libyen.

SZ: Warum so lange?

Heide: Wir waren da in der Wüste, bei den Engländern, ein Lager mit 3500 Mann. Die Briten haben sich sehr korrekt verhalten, auch wenn sie manchmal das Wasser abdrehten, wenn wir mal Ärger mit ihnen hatten.

SZ: Haben Sie etwas aus München gehört?

Heide: Nicht viel. Aber es gab diese Karten vom Roten Kreuz, auf welche die Familie ein paar Worte kritzeln durfte. Einmal stand da: "Heide-Volm in Trümmern, Deine Dich liebenden Eltern." Das hieß, unsere Gastwirtschaft in Planegg, die hieß so, war zerstört. Aber '48 im Herbst kam ich heim, hab die Ärmel aufgekrempelt, und im selben Jahr noch haben wir den Volm wieder eröffnet.

SZ: Und 1949 waren Sie auf der ersten Nachkriegs-Wiesn gleich mit dabei?

Heide: Gleich dabei. Nur war auch unser altes Zelt im Bombenkrieg verbrannt. Erst 1950 hatten wir wieder ein richtiges neues, und das gab es bis vor zwei Jahren, da musste mein Sohn, der heute das Zelt macht, etwas Neues aufbauen.

SZ: Haben Sie sich daran gewöhnt?

Heide: Das ist gar nicht schwer. Die Atmosphäre ist ja dieselbe. Und im alten Zelt hatte wir einen Kunstmaler schöne bayerische Motive malen lassen, und viele von denen hängen auch im neuen.

SZ: Und trauern Sie der alten Wiesn überhaupt nach?

Heide: Na ja, die Wiesn ist immer großartig. So ein Fest hat nicht seinesgleichen. Aber manchmal vermisse ich unsere alte Gemütlichkeit. Damals haben die Musikkapellen außer bayerischen Liedern schöne Operettenmusik gespielt, das war nett. Manchmal schau ich mir die alten Bilder an, und wissen Sie was? Was der größte Unterschied zu heute ist?

SZ: Die Fahrgeschäfte? Da blinkt es, raucht es, dröhnt es, das war doch früher nicht so.

Heide: Stimmt. Damals gab es bloß das Riesenrad, das Teufelsrad, die Krinoline. Aber diese Dinge gehen halt mit der Zeit. Das hab ich nicht gemeint.

SZ: Sondern?

Heide: Zwei Dinge. Erstens: Die Leute haben seinerzeit im Zelt schön geschunkelt und nicht auf den Bänken gestanden, das hat mir besser gefallen. Das war nicht so hektisch.

SZ: Und zweitens?

Heide: Die Hüte! Alle trugen Hüte, die Damen wie die Herren. Nicht Trachtenhüte, sondern ganz normale. Und außerdem, das sag ich Ihnen, gab es nicht all diese Dirndl wie heut. Die Bauersfrauen aus dem Oberland, die kamen schon in Tracht, aber in alter und echter. Das war schön anzusehen - weil es die Originaltrachten waren. Die Besucher haben sich schön angezogen, aber nicht all diese Lederhosen und Dirndl von heute. Es ist außerdem interessant, dass die Besucher im Schnitt viel älter waren.

SZ: War das früher anders?

Heide: Natürlich. Zur Wiesn, da kamen die Mittelalten und die Alten. Heut kommen auch die Jungen, nicht nur aus München, sondern aus aller Welt. Heute kann man die Wiesn in Neuseeland im Fernsehen anschauen und leicht mit dem Flieger herkommen. Es ist ja auch sehr schön, dass die Jungen gern kommen - so lange sie es im Griff haben. Was es auch nicht gab, war diese Promi-Wiesn.

SZ: Die mögen Sie nicht?

Heide: Na ja. Also, früher kamen auch prominente Gäste, zu mir etwa der Gustl Bayrhammer und der Hermann Prey, gute Freunde von mir. Aber dass da so genannte Promis kommen und Werbung machen, das mag ich ganz bestimmt nicht. Ich bin sehr froh, das die Frau Weishäupl eingeschritten ist und diese Dinge vom Oktoberfest verbannt hat. Wir müssen höllisch aufpassen, dass die Wiesn nicht zur Riesendisco wird.

SZ: Ist sie das nicht längst?

Heide: Aber nein. Sie ist immer noch ein wunderbares bayerisches Volksfest. Ärger mit der Stadt, das hat es natürlich früher auch schon gegeben, als ich noch Sprecher der Wiesn-Wirte war oder auch vorher. Der Gauweiler hat als Kreisverwaltungsreferent ja dem Süßmeier die Lizenz abgenommen.

SZ: Nicht zu Unrecht, oder?

Heide: Der Peter Gauweiler war schon sehr streng. Aber der Süßmeier, der mein Freund ist bis heute, war auch ned so geschickt, als er schlecht eingeschenkt hat und dann noch erklärt, wie man aus einem Wiesn-Hendl drei halbe macht. Das hat"s über die Jahrzehnte immer mal gegeben, dass ein Wiesn-Wirt die Lizenz verliert.

SZ: Welcher Oberbürgermeister - Sie haben ja einige erlebt - hat das Fass bei der Eröffnung am besten angezapft?

Heide: Der Christian Ude. Zwei, drei Schläge, alles klar. Dem macht das ja auch Spaß. Der Dr. Vogel in den siebziger Jahren, der war ein sehr guter Oberbürgermeister. Aber die Wiesn, das war nicht so seine Sache. Und das Anzapfen auch nicht.

SZ: Was war eigentlich Ihr schönstes Wiesn-Erlebnis?

Heide: Soll ich ehrlich sein?

SZ: Unbedingt.

Heide: Wissens, so ein Erlebnis gibt es gar nicht. Die Wiesn selber sind das schöne Erlebnis, über all die 60 Jahre. Aber ich hab immer noch vorher schlaflose Nächte, ob alles richtig klappt.

SZ: Hat es immer geklappt?

Heide: Eigentlich schon. Aber einmal ist das Bier ausgegangen, das mögen die Gäste gar nicht. Wir haben schnell welches von anderen Schenken beschafft.

SZ: Und ihr schlimmstes Erlebnis?

Heide: Das ist natürlich das Attentat 1980 gewesen.

SZ: Haben Sie es direkt miterlebt?

Heide: Direkt nicht, aber ich habe hier im Zelt noch gehört, als die Bombe am Haupteingang zum Oktoberfest explodierte. Man hört ja viel Lärm auf der Wiesn, aber dieser dumpfe Knall war etwas ganz anderes. Später bin ich dann zum Tatort gegangen - es war schrecklich, sehr erschütternd.

SZ: Seit dem 11. September 2001 geht die Angst um, das Oktoberfest könne erneut zum Ziel eines Terroranschlags werden, diesmal eines von Islamisten.

Heide: Seit damals ist die Angst die ständige Begleiterin auf der Wiesn, auch wenn man nicht immer daran denkt. Aber ich fürchte doch immer, dass es sich eines Tages wiederholt. Ich stifte jedes Jahr vor der Wiesn in der Kirche in Planegg eine große Kerze, in der Wallfahrtskapelle Maria Eich. Da meinen die Leut: Da stiftet der alte Heide wieder eine Schönwetter-Kerze, fürs Geschäft. Aber das ist Schmarrn. Ich bitte damit für eine friedliche Wiesn . . .

(Älterer Gast im Trachten-Janker tritt hinzu)

Gast: Ja, der Chef persönlich iss do! (Der Rest ist unverständlich, die Kapelle setzt ein)

Chef persönlich: Ja, griaß Di!

Gast (zum Reporter): Der Willy, der schaut immer gleich aus, seit 20 Jahr immer gleich. Der wird a ned älter.

Heide: Das macht die Wiesn. Die hält einen jung.

© SZ vom 4.Oktober 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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