Weihnachtsputz: Die Lust der Münchner am Entrümpeln:Was von den Festtagen übrigblieb

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Die Zeit zwischen den Feiertagen und Silvester ist kurz. Trotzdem kann man sie nutzen: Zum Beispiel, um etwas wegzuwerfen. Ein Besuch auf Münchner Wertstoffhöfen und bei den dort entsorgten Schätzen.

Christian Rost

Christoph Nauheimer bringt den ersten Christbaum. Während überall in München noch Kinder unter den geschmückten Fichten und Tannen in den Wohnzimmern sitzen und ihre Geschenke ausprobieren, will der 36-Jährige seinen Baum schon wieder loswerden. In zwei Teile zersägt, liegt er im Kofferraum des Autos, sauber entschmückt für den Müll.

Schnell weg mit dem Baum und ab ans Meer! (Foto: Foto: Andreas Heddergott)

Heiligabend ist gerade mal drei Tage her, als Nauheimer die Tanne packt und sie über den Rand in den orangefarbenen Container am Wertstoffhof Thalkirchen wirft. Die Presse zermalmt die Zweige genüsslich, es knirscht und knistert. Nauheimer lacht dabei, man könnte meinen, er sei richtig froh, dass die Festtage vorüber sind. In die Tonne gedrückt sozusagen!

Die Sonnenbrille hat er ins zerzauste Haar hochgeschoben, er blinzelt und sagt: ,,Nee, Weihnachten war schon okay, aber ich mach' jetzt Urlaub. Morgen geht der Flieger nach Thailand.'' Und die Tanne habe ihre Zeit gehabt. Vier Wochen stand sie in seiner Kochschule am Viktualienmarkt, in der ,,Leute Tricks lernen wie bei Kerner, nur live''. Jetzt ist der Christbaum trocken, und der Koch macht Pause, bis im neuen Jahr wieder Firmen ihre Manager zu ihm schicken. Zum Karottenschnitzen mit Teambuilding.

Rituale rund um den Müll

Mittwochvormittag um halbzehn, Thalkirchner Straße 260. Gut 30 verschiedene Sorten Müll werden hier gesammelt, und zwar nach einem festen Ritual: Ein Auto kommt, jemand steigt aus, öffnet Heckklappe oder Kofferraum und hält dann viele Teile oder ein schweres Trumm in den Händen.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man marschiert direkt zu einem der Container, die sich U-förmig um die Parkfläche gruppieren. Oder man schleppt sich erst zu einem der fünf Arbeiter, die mal über den Hof eilen, mal rauchend auf alten Barhockern sitzen. Sie sind die Platzanweiser, blicken kurz auf die Ware und deuten dann im Uhrzeigersinn auf die Container: ,,Sperrmüll'', ,,Holz'', ,,Elektroschrott''!

Erst dann begibt man sich zum zugewiesenen Behälter und entledigt sich dankbar der Last. Manch einer blickt dem alten Riesencomputer oder dem Billy-Regal noch versonnen hinterher. Was hatte man doch für eine schöne Zeit zusammen... Leute, die umziehen und sich vorher mancher Dinge aus ihrer Vergangenheit entledigen wollen, trifft man oft am Wertstoffhof, und manchen Hausmeister großer Wohnanlagen zieht es sogar täglich hierher.

Typisch deutsch

Vor der Fußballweltmeisterschaft fragten Journalisten in aller Herren Länder, was man so über Deutschland wisse. In einer japanischen Grundschule nannten Kinder Mülltrennung als typisch deutsche Tätigkeit. Die Kinder bastelten vor der Fernsehkamera verschiedene Behältnisse, in die sie dann getrennt Glas, Plastik und eine Bananenschale legten. Wie es die Deutschen eben den ganzen lieben Tag lang tun. Die Schüler strahlten, doch können sie nicht erahnen, welch wirkliches Vergnügen so ein Besuch am Wertstoffhof offenbar bereitet. Andernfalls würden wohl nicht jeden Tag bis zu 1600 Münchner zur Sammelstelle Thalkirchen kommen.

Das Frühjahr über ist zum Beispiel Hochsaison auf den insgesamt zwölf Wertstoffhöfen in der Stadt, da stauen sich die Autos schon vor den Toren. Neben dem Grüngut aus dem Garten oder vom Balkon muss das ,,Zeug aus dem Keller weg'', wie Franz Maier, der stellvertretende Leiter des Hofs, erklärt. Jetzt, nach Weihnachten, kommen die Geschenkkartons von Kaffeemaschinen, Tischkicker, Computern und DVD-Abspielgeräten - und die ersten Weihnachtsbäume.

Harald Huber hat gleich 20 davon auf der Fläche seines Sprinters geladen. ,,Nordmanntannen aus der Gegend von Hamburg'', sagt der 28-Jährige. Die sind ihm heuer übrig geblieben beim Christbaumverkauf am Lidl-Parkplatz in Obersendling. 300 Stück waren es, und die 20, die noch da sind, waren ,,zu groß für die Kundschaft''. Die Hydraulikpresse drückt sie, ohne dass je eine Kerze auf ihnen gebrannt hätte, zu einem grünen Kompostklumpen zusammen. 80000 Tonnen Wertstoffe und Sperrmüll kommen so übers Jahr in München zusammen. Wie bei den japanischen Kindern: alles schön sortiert.

Harte Männer und frische Luft

Auch Kinder können an den Feiertagen zur Last werden... (Foto: Foto: Andreas Heddergott)

Vize-Chef Maier lässt mit seinen 1,90 Metern auch keinen Zweifel aufkommen, wer letztlich bestimmt, in welchen Container was reinkommt. Gelernt hat er eigentlich Feinmechaniker und er war auch sechs Jahre in einer Werkstatt der Uni beschäftigt. Als jedoch sein Vater starb, fing er wie jener am Wertstoffhof an. ,,Besser so - man ist unter Leuten und immer an der frischen Luft.'' Die Uni war nicht seine Welt. Bei null Grad kommt Maier mit nur einem Shirt und einem Hemd darüber aus.

Männer wie er werden an diesem Ort dringend gebraucht, ,,weil es nämlich Experten gibt, die uns ihren Restmüll unterschieben wollen'', sagt der 28-Jährige. Erst neulich habe wieder jemand sein ,,Zeugs'' bei den Altkleidersäcken dazugestellt, ,,und anschließend hatten die vom Fairhandel den ganzen Mist aufm Tisch''.

Fernhalten müssen Maier und seine Kollegen auch die Mülltouristen aus den umliegenden Landkreisen. Nicht jeder Kreis gewährt seinen Bürgern kostenfreie Wertstoffhöfe; die Münchner bezahlen den Betrieb direkt über die Müllgebühren mit.

Um am eigenen Geldbeutel zu sparen, tauchen Umlandbewohner also gerne mit ihren Säcken in München auf. Bei auswärtigen Kennzeichen am Auto merken die Wertstoffhöfler deshalb sofort auf, so dass der Fahrer eines Tölzer Wagens beteuern muss: ,,Das Auto ist doch nur geliehen.''

Wertvoller Abfall

Eigentlich, so könnte man denken, müsste die Stadt für solche Lieferungen dankbar sein - denn Müll bringt teils richtig Geld: Edelstahl erziele derzeit besonders hohe Preise am Wertstoffmarkt, sagt Arnulf Grundler, Sprecher des Abfallwirtschaftsbetriebs München, und zeigt auf einen Mann, der gerade seine alte Spüle in einen Container schiebt.

Die 100.000 Tonnen Altpapier gelangen - gegen bare Münze - ebenso in den Recycling-Kreislauf wie die vielen Millionen Altglasflaschen, die übrigens tatsächlich nach Farben getrennt verarbeitet werden. Der Bioabfall fermentiert in der Biogasanlage oder bei Privatfirmen zu hochwertigem Kompost vor sich hin.

Gut erhaltene Möbel oder funktionsfähige Hifi-Anlagen landen erst gar nicht im Container. Sie werden am Wertstoffhof in einer Trödelhalle gesammelt und dann in die ,,Halle 2'' nach Giesing gebracht. Dort, in der Sachsenstraße 25, verkauft die Stadt dienstags bis samstags die Ware zu Spottpreisen. Manches davon ist sogar originalverpackt. In einer Tasche steckt ein Set Golfschläger, daneben stehen fast neue Fax- und Fernsehgeräte.

Und selbst den 500000 Tonnen Restmüll, die sich im Jahr in Stadt und Landkreis ansammeln, kann der städtische Abfallwirtschaftsbetrieb etwas abgewinnen: Energie. Im Heizkraftwerk Nord wird der Müll bei mehr als 1000 Grad verbrannt. Gleichzeitig entstehen 1000 Megawatt-Stunden Fernwärme für die Stadt.

Was vom Müll übrig bleibt, also der Rest vom Rest, ist Schlacke, sagt Grundler. Die diene beim Straßenbau als Belag. Einzig für die Filter aus den Heizkraftwerkskaminen ist noch keine Lösung gefunden. Sie sind derart stark belastet, dass sie, ähnlich radioaktivem Abfall, endgelagert werden müssen.

© Süddeutsche Zeitung vom 28.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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