Vorschlag-Hammer:Punk, Sex und Wahnsinn

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Die späte Geburt ist nicht immer eine Gnade. Manchmal hat man deswegen des Spannendste auch schlichtweg verpasst. Und es nachzuholen, verlangt einem das Äußerste ab

Von Bernhard Blöch

Als Punk spannend war, hörte ich Benjamin Blümchen. Schöner Mist, aber so ist es nun mal. Ich wurde geboren, als die Sex Pistols "Anarchy in The U.K." plärrten, und während ihre Brüder im Geiste Pogo tanzten und Iro trugen, beschränkte sich mein persönlicher Protest darauf, mit dem Plastikbagger Erde aus der väterlichen Zimmerpflanze auf den Teppich zu schaufeln und "törööö!" zu rufen. Deshalb bin ich, der in den viel zu braven Neunzigerjahren pubertierte und wenigstens Nirvana hatte, regelmäßig neidisch auf all die Frühergeborenen, denen nicht erst Green Day verdeutlichen mussten, was Punk nicht sein wollte.

Als ich mir neulich Oskar Roehlers irrwitzigen Achtziger-Jahre-Wahnsinn Tod den Hippies!! Es lebe der Punk anschaute (und dazu Cola light süffelte), war es wieder so weit. Okay, der Film ist mehr Satire als Zeitdokument, aber wenn die frühen Achtziger in Berlin nur ansatzweise so hedonistisch und rotzig, so zugedröhnt und gaga waren, dann würde ich meine Zeitmaschine direkt auf 1980 stellen, Fluchtpunkt: das "Risiko" in Schöneberg. Allein schon deshalb, um von Blixa Bargeld einen Rieseneimer Wodka eingeschüttet zu bekommen, während mir der Pate von West-Berlin den Sinn des Lebens steckt (bei der Filmpremiere an diesem Donnerstag, 19.30 Uhr, in den Kinos Münchner Freiheit übernehmen Roehler sowie die Hauptdarsteller Tom Schilling und Wilson Gonzalez Ochsenknecht die Erklärungsversuche).

Aber für Punk ist es nie zu spät, Punk ist eine Lebenseinstellung, fragen Sie mal die positiv Verrückten des Werkstattkinos. Die pfeifen auf das cineastische Establishment und zeigen ausnahmslos, worauf sie Bock haben. Neulich liefen deutsche Sex-Krimis der Sechzigerjahre, und in der Reihe Shorts Attack gibt es am Samstag unter dem Motto Sex & Wahnsinn zehn "erotische Zwischenfälle" zu begaffen (um 16 Uhr, wohlgemerkt). Unangepasstes Kino bekommen Mainstream-Verweigerer auch bei den Fantasy Filmfest Nights, die am Wochenende einen blutigen Vorgeschmack auf das Independent-Festival Ende August geben (28./29.3., Cinema). Aber was wäre Punk ohne die Musik? Nicht mehr als ein halb gestreckter Mittelfinger. Einfach ist es dennoch nicht in diesen Tagen, zwischen Disney-Gehopse ("Violetta", 26. und 27. März in der Olympiahalle) und beschwingtem Pop (Tom Gaebel, 28.3., Freiheizhalle) etwas Rohes mit Substanz in München zu finden. Betontod vielleicht, die Selfmade-Punk-Rocker aus Rheinberg, deren Songs "Ich bereue nichts", "Ihr könnt mich" oder "Legion der Verdammten" heißen (Support: Zaunpfahl, 28.3., Backstage). Wem das noch nicht anti genug ist, der kann ins Volkstheater gehen zur musikalischen Edward-Limonov-Inszenierung mit dem Titel: Fuck Off, Amerika! (26.3., 20 Uhr). Aber bitte, tragen Sie dazu keine Abendgarderobe mit Blümchen. Sonst nenn' ich Sie Benjamin.

© SZ vom 26.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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