Vorschlag-Hammer:Bücherfasten

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Wer dicke Bücher liebt, könnte in der Fastenzeit auf sie verzichten. Doch auch dünne Bücher machen süchtig

Von Antje Weber

Das wäre doch mal ein schöner Vorsatz in der Fastenzeit: nur dünne Bücher zu lesen statt dicker! Für Lesesüchtige, die sich immer wieder zwanghaft an 700 Seiten starken Romanen festbeißen, wäre das nicht einfach. Schwieriger jedenfalls als der Verzicht auf Schokolade oder Alkohol, den viele in diesen Wochen mehr oder weniger eisern durchhalten.

Der Vorsatz, allzu buchstabenreiche Bücher zu vermeiden, würde mir persönlich allerdings nicht schwerfallen und wäre somit kein echter Verzicht. Ich schätze dünne Bücher aus vielerlei Gründen ungemein. Um nur einen davon zu nennen: Oft erfordert es mehr Kunstfertigkeit, einen Text zu komprimieren als ihn auszuwalzen. In diesem Sinne habe ich zum Beispiel mit viel Vergnügen das schmale neue Buch "Ein anderes Blau" von Benjamin Stein gelesen: ein formales und inhaltliches Experiment, ein gewagtes Stück Literatur. "Das Monster von Neuhausen" von Ernst Augustin verdankt seine äußerst dünne Form - bei gewichtigem Inhalt - dagegen den Schwierigkeiten, unter denen es entstanden ist: Der Münchner Schriftsteller ist seit einer Operation nahezu erblindet. Auch Dragana Oberst setzt sich in ihrem schmalen autobiografischen Roman "Jenseits der weißen Linie" mit ihrer Vergangenheit auseinander. Da ihre feinen Skizzen einer traumatischen Migration aus Jugoslawien nach Deutschland einige Fragen offen lassen, hätte sie durchaus noch ein paar Seiten mehr schreiben dürfen, um den Wissensdurst der Leser zu stillen - vielleicht erzählt sie ja am 25. März bei ihrer Lesung bei Buch in der Au noch ein bisschen mehr.

Nicht nach Fasten, um zu einem völlig anderen Terminhammer überzuleiten, sehen dagegen die stämmigen Männer aus, die sich dem Darts-Sport verschrieben haben. Kürzlich in Holland habe ich zum ersten Mal mit wachsender Bewunderung erlebt, zu welcher Begeisterung Profis wie Phil "The Power" Taylor oder Gary "The Flying Scotsman" Anderson, die stundenlang stoisch mit Pfeilen auf eine Scheibe zielen, das Publikum hinreißen können. An Ostern, vom 4. bis 6. April, werden nun einige der besten Werfer der Welt bei den German Darts Masters in Unterschleißheim erwartet - für alle, die sich der Konzentration auf den Kern der Dinge verpflichtet fühlen, ein Pflichttermin. Tatsächlich kann man die Fähigkeiten, die bei diesem Spitzen-Sport nötig sind, problemlos auf andere Bereiche übertragen: Auch als Autor braucht man Konzentration, Ausdauer und Treffsicherheit, um ein tiefes, komplexes, womöglich auch noch dünnes Buch zu schreiben - den großen Wurf eben!

© SZ vom 24.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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