Vitale Geisterbahn:Kreischen ist Draculas höchstes Lob

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Die "lebendigen Gespenster" der Wiesn-Geisterbahn "Schocker" erschrecken die Fahrgäste für nur 2,50 Euro Stundenlohn - doch sie lieben ihren Job.

Von Jan Grossarth

Ein schief stehender Weihnachtsbaum ist die erste Hürde auf dem schmalen Pfad in die Geisterstadt. Dann ist noch ein Sperrgitter im Weg, letztlich muss der Besucher unter einer offen stehenden Lastwagenklappe hindurchkriechen - und, wer hätte das erwartet: bloß zehn Meter hinter der Geisterbahn "Schocker", ein Steinwurf entfernt von der meist menschenüberlaufenen Wiesngasse, und dennoch von kaum jemandem bemerkt, da liegt Transsilvanien.

Die lebenden Geister kommen aus Transsilvanien - wegen des niedrigen Lohnes. (Foto: Foto: son)

Die sagenumwobene Draculaburg, hier kommt sie leider bloß in Gestalt eines Containerwagens älteren Baujahres daher. Unterteilt in winzige Schlafkabinen, ein Dusch- und ein Toilettenräumchen. Zehn entfernte Abkömmlinge des transsilvanischen Schreckensgrafen frühstücken vor dieser Caravanbehausung: Sie heißen Florian Bondar, Stefan Pralea oder Gabriel Surdea, und dass diese Männer jetzt noch recht liebenswürdig aussehen, liegt einzig an der frühen Uhrzeit.

Denn schon in zehn Minuten, also vormittags um elf, werden sie wieder einmal ihre Fratze des Grauens anlegen müssen. Dann schminken sie sich weiß, grün, blutrot, kleben dicke Plastiknarben auf die Stirn, legen sich ihren Draculakragen oder Lederumhang um. Bewaffnen sich mit Gummispinne und Monstermaske, die zehn Männer, deren Hauptberuf (zumindest für sechs Monate im Jahr) heißt: "Lebendiger Geist". Während des Oktoberfestes ein Dreizehnstundenjob, sieben Tage die Woche.

Profigeist statt Fußballstar

Geist, als Hauptberuf ist das eher exotisch, und für die meisten nicht gerade, was sie schon als Kind immer haben werden wollen.

Martin Stelzer ist in der Schockerbahn der einzige deutsche Geistermensch, wollte eigentlich Fußballstar werden. Ein schwarzer Pferdeschwanz ist seine Dienstfrisur, an den Seiten kahlrasiert, die Augenhöhlen schwarz geschminkt, auf der Stirn klebt ein mit Kunstblut umrandeter Niniastern.

Martin ist der Bestverdiener unter den Geistern, "ich habe ein Auto, eine Wohnung". Seine neun Kollegen sind allesamt Rumänen - und Geisterbahnchef Edmund Eckl, nach eigenen Worten der Erfinder der Geisterbahn mit "lebendigen" Schreckgespenstern, beteuert: "Ich wollte nämlich unbedingt Leute, die wirklich aus dem Land Draculas stammen."

Jedoch könnten seine Präferenzen auch in den osteuropäischen Gehaltsvorstellungen gründen. 615 Euro verdient so ein Rumäne, auf die Stunde umgerechnet sind das rund zweieinhalb Euro.

Die Gastarbeiter übernehmen auch Auf- und Abbauarbeiten, so wie es bei fast jedem Fahrgeschäft ist. "In Rumänien gibt es kein Geld", sagt einer, der in seiner Heimatstadt Timisoara als Maler vergeblich einen Job gesucht hat, "das hier ist gut".

Ein Geist vor dem "Schocker". (Foto: Foto: dpa)

Er hat keine Familie - "Kinder, Frau? Nein, ich bin Geist." Als er das sagt, scheint sich der Mann mit blutrote angemaltem Gesicht zu schämen. Hier prallen zwei Wohlstandswelten aufeinander.

Jeden Morgen um halb zwölf beginnt die monotone Leier der Geisterbahn. "Röähhhaaa-Haaa-Haaa", ächtz, "ich bin das Monsterbaby!" Zeitgleich geht Stefan Szabo mit der Maske eines Untoten auf seinen Posten, die letzte Kurve der Bahn.

Konkurrenz vermiest das Geschäft

Mit ihm stehen hier vier Draculakollegen, der Arbeitstag beginnt. "Dieses Jahr ist nicht gut", sagt Geist Szabo, und meint: Weil die Konkurrenz nachgezogen ist, neuerdings auch "lebendige Geister" engagiert, sind nicht mehr so viele Gäste bereit, satte vier Euro für 90 Sekunden Fahrt zu zahlen.

Dann steigen endlich vier Mädchen ein, die ersten Kundinnen des Tages, da drücken die fünf diensthabenden Geister schnell ihre Zigaretten aus. Der eine lauert hinter einer Kurve, macht im Schein der Taschenlampe eine Fratze. Geist zwei kratzt mit einer Plastikflasche am Gitter des Wagens, Geist drei tippt den Kunden an den Rücken, und tatsächlich: Jetzt kreischen die Mädchen. Kreischen, das ist das höchste Lob für einen Jahrmarktgeist.

Sehr zufrieden sei er mit seinen Saisonarbeitern, sagt Edmund Eckl. Eckl hat es vor den Rumänen auch schon mit Schauspielschülern versucht. Doch die wollten aus dem Erschreckjob gleich ein Hamletdrama machen - überqualifiziert.

Erst einen Geistesanwärter musste Eckl wieder nach Hause schicken: "Der war zu schüchtern, hatte selber Angst, der konnte nichtmal eine Maus erschrecken."

Die rumänischen Geister tragen ausgelatschte Markenturnschuh-Immitate, sprechen zwischendurch oft über zu Hause. Nach der Wiesn ist für die neun erst einmal Schluss, dann sind sie bis März arbeitslos, dürfen dafür aber endlich wieder zu ihren Familien.

Das Geld reicht ihnen für ein halbes Jahr

Stefan Certus, der im Schocker nur "Dr. Geist" genannt wird, hat zu Hause eine Frau, eine Tochter und freut sich auf das baldige Saisonende. 615 Euro - was ausbeuterisch klingt, ist für ihn ein Segen: "Viele von uns sind Maler, Schlosser, verdienen in Rumänien 200 Euro. Wer hier spart, kann zu Hause ein halbes Jahr ohne zu arbeiten leben. Geist sein macht Spaß, wir haben immer viel zu lachen."

Martin, der junge Mann mit dem Blutstern auf der Stirn, verdient schon besser. Er hat als einziger einen Ganzjahres-Arbeitsvertrag, macht auch die Pressearbeit und hilft im Winter auf Christkindlmärkten aus.

Die rumänischen Geister dürfen dank Saisonvisa für eine begrenzte Zeit arbeiten. Die Hierarchie in der kleinen Caravanstadt wird schon anhand der Wohnungen deutlich: Geisterbahnbetreiber Eckl nächtigt in seinem Luxuswohnmobil, neun Rumänen in dem containerähnlichen Wage - und Martin Stelzer schläft in seinem eigenen 80er Jahre-Schlafwagen, Stil: Gelsenkirchner Barock.

Über der Sitzecke, da hängen an der Tischlampe zahlreiche Plastikrosen, ein Plüschherz, Zettel mit Handynummern. Das macht Martin etwas stolz, denn "die Mädels stehen total auf uns Geister, die sagen mir 'du hast aber schöne Augen', und wollen unbedingt wissen, wer hinter der Maske steckt." So geht das also mit den Frauen - oder waren diese Verehrerinnen Grufties?

Zu Hause in Pfaffenhofen lebt Martin Stelzers zweijähriges Töchterchen, die besucht ihn manchmal, und hat gar keine Angst. "Wo ist denn der Papa", fragten die Leute zu Hause das kleine Mädchen manchmal, erzählt Grusel-Martin. "Papa Geist", antworte dann die Tochter. Das ist allerdings untertrieben. Denn Papa ist Chefgeist in Wiesntranssilvanien.

© SZ vom 23.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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