Verbraucherinsolvenzen:Schwindelfrei auf dem Schuldenberg

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Hoffnungslos verschuldet und keine Ahnung, wo das Geld für sämtliche Kreditraten herkommen soll - im Amtsdeutsch heißt das Verbraucherinsolvenz. Davon gibt es in Deutschland immer mehr. Der 22-jährige Jens hat ein solches Verfahren hinter sich. Die Geschichte eines Bankrotts.

Von Christian Minaty

Die Zahl sorgt für Schweißperlen auf der Stirn. Eine 18 mit drei Nullen dahinter. So sieht der Betrag aus, den die Gläubiger von Jens wiederhaben wollen. Jens(*) ist 23 Jahre alt und sitzt erstaunlich gelassen in seinem Mini-Zimmer in München-Trudering.

Wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, sind Schuldnerberatungen oft der letzte Ausweg. (Foto: Foto: sueddeutsche.de)

"Die Gerichtsvollzieherin war schon zweimal da", sagt er. "Aber was will sie schon mitnehmen? Ich hab ja nix." Fernseher, Stereoanlage, Kühlschrank und mehrere Fertigsuppen - viel mehr gibt das Interieur nicht her.

Vor einigen Jahren war Jens wegen einer Metzgerlehre aus Sachsen nach München gekommen. "Ich wollte meinen Freunden zeigen, dass ich es schaffe." Schon in der ersten Bleibe hatte er Pech: Sein Handy wurde entwendet - von der eigenen Vermieterin.

Er packte seine Sachen, zog auf einen Campingplatz und suchte nach einer neuen Wohnung. Dabei machte er einen Fehler: Er vergaß, sich umzumelden. Das hatte Folgen: Erst nachdem er schließlich nach Trudering gezogen war, konnten ihm postlagernde Rechnungen zugestellt werden. Mit mehreren hundert Euro stand Jens da schon in der Kreide.

Dabei blieb es nicht. "Ich war damals so naiv und hab mir gedacht, jetzt kaufst du dir ein Motorrad. Eine schöne Honda", sagt er. Preis: 8000 Euro - auf Raten. Den heißen Ofen, im Schuppen eines Bekannten abgestellt, krallten sich Diebe. Und die Versicherung verweigerte jegliche Zahlung.

Mittlerweile hatte Jens die Lehre abgebrochen, weil er sich mit der Firma überworfen hatte. Jobs als Fahrer für einen Nachtexpress folgten. Jetzt lebt Jens von Arbeitslosengeld.

"Es ging einfach alles drunter und drüber", sagt er heute. Er leaste sich ein Auto, mal bei dem einen, mal dem anderen Anbieter. Die pochten bald auf ihr Geld - insgesamt 11.000 Euro. Später wurde klar: Jens Bank hatte die Beträge nie überwiesen. "Ich hab da nachgefragt, aber die konnten nicht mehr soweit zurückschauen." Der Wagen ist eingezogen worden, Jens darf keine Autos mehr mieten.

Seine Freundin überredete ihn schließlich, zur Schuldnerberatung der Stadt München zu gehen. Dort unterzeichnete Jens eine eidesstattliche Versicherung, mit der er erklärte, dass sein Vermögen zur Tilgung der Schulden nicht ausreiche.

Zwangsvollstreckungen haben in Jens´ Fall keinen Sinn: Seine wenige Habe gilt als nicht pfändbar. Entweder sie ist lebensnotwendig oder der Gewinn einer Versteigerung würde deren Kosten nicht aufwiegen. Nun geht Jens ins Insolvenzverfahren. Sechs Jahre lang wird - sofern er wieder Arbeit hat - der pfändbare Teil seines Lohnes abgezweigt und auf die Gläubiger verteilt. Danach können ihm Restschulden erlassen werden.

Die städtischen Berater zeigten Jens, wie ein Haushaltsplan aufzustellen ist. Ausgaben wie Miet-, Strom- und Wasserkosten wurden auf den Monat umgelegt und die Gläubiger angeschrieben. Sie teilten ihre Forderungen inklusive Zinsen und Mahngebühren mit. "Viele sehen hier zum ersten Mal, was ihr Leben eigentlich kostet", erklärt Jens´ Beraterin Katharina Buchner.

Jens sind Konsumexzesse vorerst gründlich vergangen. "Heute würde ich so was nicht mehr machen. Es ist Stress pur." Sein Freundeskreis weiß nur das Nötigste. "Alles muss ich denen nicht auf die Nase binden."

Verbraucherinsolvenzen steigen rasant an, meldet das Landesamt für Statistik - in Bayern von rund 480 (im Jahr 1999) bis auf 2775 im vergangenen Jahr. Wohlgemerkt: Hierbei handelt es sich um Insolvenzen. Außergerichtliche Einigungen fließen in die Statistik gar nicht erst mit ein.

Schuldner könnten bald vollends im Regen stehen, sollten die Pläne der bayerischen Staatsregierung Wirklichkeit werden. Dann könnten den ohnehin überlasteten Schuldnerberatungen - zu ihnen gehören auch Einrichtungen von etwa Caritas oder Innerer Mission - aufgrund von Einsparungen selbst der Geldhahn zugedreht werden.

Das bedeutet, dass Schuldner kaum noch jemand finden, der berechtigt ist, kostenfrei ein Insolvenzverfahren mit ihnen einzuleiten. Nur so aber können sie von Restschulden befreit werden. "Es wird gesagt, sie sollen zu Anwälten gehen. Die aber werden diese aufwändige Arbeit sicher nicht machen", befürchtet Katharina Buchner, denn die Kanzleien erhalten für das Verfahren lediglich Fallpauschalen.

Jens kann hoffen, irgendwann wieder aus dem roten Bereich zu sein. Wenn alles gut läuft, startet er demnächst eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer. "Vielleicht wandere ich mit meinem Schatz nach Amerika aus."

Ausgegrenzt fühlt er sich trotz leerer Kasse nicht. "Warum soll ich verzweifelt sein?" Er hat zwar kein Auto und auch kein Motorrad mehr, aber schwimmen gehen oder Beachvolleyball spielen reicht ihm vorerst. Und ruhig schlafen kann er auch wieder.

(*) Name von der Redaktion geändert.

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