Urteil:Kampf gegen die Schmerzen teuer bezahlt

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Querschnittgelähmter lindert seine Leiden mit Marihuana. Joints helfen dem Rollstuhlfahrer besser als Medikamente - das Amtsgericht verurteilt ihn zu einer Geldstrafe.

Alexander Krug

Seit 17 Jahren ist Andreas W. an den Rollstuhl gefesselt. Bei einem Verkehrsunfall 1988 wurde seine Halswirbelsäule so schwer verletzt, dass er seitdem querschnittgelähmt ist und weder Arme noch Beine richtig bewegen kann. Wenn die Schmerzen wieder einmal unerträglich werden, hilft dem 38-Jährigen nur noch ein Joint. Kein zugelassenes Medikament hat die Wirkung, die das Marihuana für ihn hat. Doch die Staatsanwaltschaft ist unerbittlich: Sie hat Andreas W. wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz angeklagt.

Andreas W. über die Schmerzmittel: "Ich bin dann den ganzen Tag dämmrig und kann nicht mal mehr im Rollstuhl sitzen." Deshalb stieg er auf Joints um. (Foto: Foto: AP)

Bei einer Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten waren am 25. Februar dieses Jahres mehrere Plastikbeutel mit insgesamt rund 340 Gramm Marihuana gefunden worden mit einem Wirkstoffgehalt von rund zehn Prozent Tetrahydrocannabinol (THC). Die Polizei hatte einen Tipp bekommen - ausgerechnet vom Krankenpfleger des Angeklagten. Dieser hatte sich mit Andreas W. wegen eines vermeintlichen Diebstahls zerstritten und ihn dann bei den Behörden hingehängt.

Alle gängigen Schmerzmittel ausprobiert

Andreas W. macht aus seinem Cannabis-Anbau in der Wohnung kein Geheimnis. Einmal im Jahr, so erzählt er dem Amtsrichter, würde er die Pflanzen ernten und die Menge reiche dann für ein ganzes Jahr. Alle gängigen Schmerzmittel hat Andreas W. schon ausprobiert, doch deren Nebenwirkungen machen ihm das Leben unerträglich: "Ich bin dann den ganzen Tag dämmrig und kann nicht mal mehr im Rollstuhl sitzen."

Seine Anwältin Aglaia Muth legt eine ärztliche Bescheinigung einer Unfallklinik vor, die seit Jahren bei neurospastischen Schmerzen das Medikament "Dronabinol" einsetzt, ein Hauptwirkstoff von Cannabis. Das auf Betäubungsmittelrezept verschriebene Medikament ist allerdings so teuer, dass es von gesetzlichen Kassen nicht bezahlt wird.

Marihuana zur Selbstmedikation

Für Anwältin Muth ist es nicht nachvollziehbar, warum Marihuana zur Selbstmedikation nicht erlaubt wird. "Wenn es medizinisch indiziert ist und wenn es von einem Arzt verschrieben wird, muss es eine Möglichkeit geben, dass es legal abgegeben wird", appelliert sie an den Gesetzgeber. Sie fordert für Andreas W. einen Freispruch und begründet dies mit einem "rechtfertigenden Notstand". Danach handelt nicht rechtswidrig, wer in einer "gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben" handelt. Die Staatsanwältin will davon nichts wissen, sie fordert eine neunmonatige Bewährungsstrafe.

Der Amtsrichter macht keinen Hehl daraus, dass er lieber kein Urteil fällen würde. "Aber was angeklagt ist, muss entschieden werden", sagt er. Der Gesetzgeber habe im Betäubungsmittelgesetz die Möglichkeit offen gelassen, sich um eine Ausnahmegenehmigung für eine Behandlung mit THC zu bemühen. Der Angeklagte habe das versäumt. Ein rechtfertigender Notstand liege damit nicht vor. Andreas W. wird zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt, der Mindeststrafe für dieses Delikt. Anwältin Muth hat bereits Berufung gegen das Urteil eingelegt.

© SZ vom 30.09.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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