Urlaubslokale:Feriengefühl inclusive

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Reif für die Insel? Einige Wirte beweisen, dass sich auch in München Urlaubsstimmung erzeugen lässt.

Susanne Hermanski

Ganz dicht unter der Decke, direkt in der Ecke über der Theke hängen Dutzende von Ansichtskarten. Wo in anderen Lokalen eine Stuckleiste prangt oder eine gemalte Bordüre über die Mauer mäandert, wo in anderen Kneipen nichts zu sehen ist als vom Rauch vergilbter Putz, da hängen im Kyprios Palmenstrände, Grand-Canyon-Schluchten, Meeresbuchten und rote Londoner Doppeldecker an der Wand.

Aus der Fischtheke glotzt ein kolossaler Zackenbarsch - das Kalypso in der Agnesstraße. (Foto: Hess)

"Viele Grüße aus dem sonnigen Süden", steht auf vielen der Karten. Oder "das Wetter ist schön, das Essen ist gut".

Und wohl doch nicht ganz so gut wie daheim. Wer würde sonst in der Fremde auf die Idee kommen, eine Postkarte an sein Stammlokal in der Heimat zu schicken?

Zu Hause fühlen sich viele der Leute im Kyprios - 80 Prozent seien Stammgäste, sagt der Wirt. Und doch manifestiert sich in dem zypriotischen Lokal vor allem zweierlei: die Vorfreude auf die nächste große Reise. Und die Erinnerung an ausgelassene, weinselige Tage, die man bereits auf irgendeiner Insel dieser Erde erlebt hat.

Bilder vom Mittelmeer

Wenn es gilt, eine Geschichte über jene Gaststätten zu schreiben, in denen man sich mitten in München ganz wie im Urlaub fühlen kann, dann macht das Kyprios wahrlich keinen schlechten Anfang: Die blauen Fensterrahmen sind die Sinnbilder für das Mittelmeer.

Wen interessiert da noch, dass der Blick nach draußen nur auf die zugeparkten Gehsteige der Emil-Geis-Straße in Thalkirchen fällt, statt auf azurblaue Meereswogen? Wen kümmert schon, dass die griechischen Kollegen am Nachbartisch am nächsten Tag genau wie wir wieder bei der Stadtverwaltung schuften und beim Bäcker in der Schlage auf ihre Brezen warten müssen?

Wenn Savvas den Teller mit den warmen, einen Hauch arabisch gewürzten Vorspeisen auf den Tisch stellt, wenn Yannis zur Gitarre singt und von Michaelis' Bouzouki die Töne springen wie Glasperlen, dann ist es so weit: Wir brauchen keine ausgeklügelte Sciencefiction-Technik mehr, wir haben uns selbst nach Zypern gebeamt.

Savvas Christodoulou ist einer der drei Wirte des Kyprios. Er stammt aus dem türkisch besetzten Gebiet der geteilten Insel und lebt seit 17 Jahren in München. "Man weiß nicht mehr, wo man hingehört nach so langer Zeit", sagt er.

Heimat und Fremde

Und womöglich ist es ja eben diese Verwirrung der Gefühle, diese Mixtur von Heimat und Fremde, die dem liebenswerten Münchner "Urlaubslokal" den Charme verleiht.

Giovanni gibt für seine Gäste in der Vecchia Masseria auch mal den Clown. Dann serviert er in seiner Gärtnerschürze, setzt einen zerbeulten Strohhut auf und wirft den juchzenden Leuten im hohen Bogen heiße Kostnix-Kastanien zu.

Nur wer ihn besser kennt, weiß, dass manche der Dinger gar nicht zufällig am Kopf des angeberischen Werbe-Fuzzis am Nachbartisch landen. Und nur wer ihn besser kennt, wird von Giovanni schon mal in den Arm genommen, wenn er Kummer hat - weil Giovanni manche seiner Gäste eben besser kennt.

Ansonsten macht er seinem Namen alle Ehre und küsst alle Frauen. Ob blond, ob braun, auch die Männer klemmen sich gerne hinter die rustikalen Tische, die stets mit frischen Topfblumen und tropfenden Kerzen geschmückt sind.

Garda, Rimini und Roma

Man rückt zusammen, um Don Giovanni und seinen flotten Kellern den schmalen Pfad freizuhalten. Sie balancieren dampfende Teller voll Pasta und halbrunde Dachziegel, in denen frisches Weißbrot liegt. Was an Tischsets, Kastanienschalen oder Servietten nicht mehr gebraucht wird, fegen sie kurzerhand vom Tisch auf den Boden.

Das gehört zur kalkulierten Rustico-Show und funktioniert molto bene: Alle palavern laut und lebendig, als seien sie selbst ein klein wenig Italiener. Oder als würden sie es demnächst werden. In Garda, Rimini oder Roma.

Auf ganz andere Weise vermittelt das Friulana die italienische Reise. In dem simpel eingerichteten Lokal mit der Cinzano-Leuchtreklame im Fenster waltet der Vater in der Küche, die Mama bedient die Gäste, ihre Schwester steht hinterm Tresen und neuerdings hilft auch die Tochter mit. Idealer könnte ein Familienbetrieb wohl nicht laufen.

Wem das allein noch nicht genügt für den Traum vom temperamentvollen und doch so harmonischen Italien und von der ganz und gar nicht mafiös gemeinten "Cosa Nostra", der hebt für einen Augenblick den Blick von seiner Rucola-Pizza, der Zuppa Romana und den Sardinen - und lässt den Blick schweifen: über die Poster des italienischen Fremdenverkehrsamts, die Autogrammkarten der Radsportlegenden, das Fußball-Mannschaftsbild der Forza Udinese.

Wer sich unter Urlaub weniger geruhsame, aber trotzdem authentische Eindrücke und etwas mehr "Dolce vita" - um nicht zu sagen Halligalli - vorstellt, der wird in München aber ebenso fündig. Zum Beispiel im Pappasitos in der Schraudolph-/Ecke Georgenstraße.

Beauties und Ballermänner

Dort toben Ibiza und Mallorca in Reinform - sofern man damit Discos, Beauties in Bikinitops und Ballermänner assoziiert. Dort wird Nacht für Nacht auf den Tischen getanzt und gefeiert wie in den Clubs von Eivissa und den Bars von Palma.

Stroboskoplicht blitzt, Tequila fließt, und es tanzen jede Menge bauchfreie Mädchen, die da, wo andere ein paar Pfund zu viel haben, einen tätowieren Drachen oder ein paar Adlerschwingen zur Schau tragen.

Mitten drin: Patrizia und Brigitte. Sie kommen aus Solln und Steinhöring hierher - "so oft es geht". Auch wenn Brigitte, die ein Verehrer schon mal die Reinkarnation der Cleopatra genannt hat, findet, sie sei mit ihren 26 "in die Jahre gekommen", und meint, das Ausgehen mache ihr immer weniger Spaß.

"Eigentlich wollen alle ja doch nur dein Geld", sieht sie auch nach dem dritten Tequila noch klar. "Aber man kann's den Leuten halt so oder so aus der Tasche ziehen", sagt sie und schwingt sich und ihre Hüften davon zum ewigen Beat von "One More Time".

Griechische Zeremonien

Mehr als einmal wird womöglich auch der Asienreisende an einen Ort zurückkehren, der sich Shoya nennt und in der Orlandostraße liegt. Denn diese Sushi-Bar hat nicht nur unglaublich viele Japaner zu Gast - schräg gegenüber liegt das Hofbräuhaus, und nach dem Kulturschock suchen hier jede Menge Menschen aus Osaka, Tokio & Co.

Erholung und frisches Sashimi. Im Shoya riecht und schmeckt es wie in Japan. Die Stäbchen sind genauso verpackt wie dort, die Soja-Sauce ist in die gleichen Plastikfläschchen abgefüllt.

Und der Wirt sieht hier genauso wenig wie der in dem kleinen Restaurant am Tokioter Bahnhof ein, warum man länger als eine Stunde sitzen bleiben sollte und damit unnötig den Platz für die nächsten, hungrigen Gäste blockiert.

Ganz anders verhält sich das bei Manolis. Wer sein Kalypso in der Agnesstraße mit dem antiken Taucherhelm über der Tür und den in griechischen Farben geschmückten Tischen betritt, der kommt so bald nicht wieder heim.

Der Weg von Kreta ist schließlich weit. Aus der Fischtheke glotzt einen ein kolossaler Zackenbarsch an. Und wer dadurch nicht hypnotisiert in sein Weinglas zurückschielt, der bleibt vielleicht deshalb sitzen, weil ein anderer am Ende des langen Tisches aufspringt: Der Herr mit den grauen Schläfen legt sein Jackett ab und wiegt sich langsam im Takt der Musik.

Scherben nach Iraklion

Das Schnippen seiner Finger deutet Georgios, der Gemüseimporteur mit dem Alexis Sorbas im Blut, nur sachte an. Seine Freunde bilden einen Kreis um ihn, der Kellner reicht ihm einen Stapel Teller. Einen nach dem anderen zerdeppert er, dass die Scherben von Iraklion bis nach Zypern fliegen könnten.

Aber wer will schon fliegen, wenn er sich kaum bewegen muss, um zu verreisen.

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