Unterwegs mit Sanitätern auf der Wiesn:Die gelbe Banane ist immer dabei

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Wer immer auf dem größten Volksfest der Welt umkippt, macht mit ihnen Bekanntschaft.

Von Astrid Becker

Sie nennen es die "gelbe Banane". Sie, das sind an diesem Abend Tim Saborowski, Julia Mrazek, Christine Buchner und Christoph Janello. Immer wenn die vier jungen Leute wieder einmal auf der Wiesn ausrücken müssen, um einen Menschen zu retten, schnappen sie sich das gelbe Gefährt.+

Das fahrbare Ding hat aber auch andere Namen, böse Namen. "Kotztüte oder Bierleichen-Sarg nennen es die, die keine Ahnung haben", sagt Tim Saborowski. Gerechtfertigt seien diese Namen aber nicht.

Doch bevor die ehrenamtlichen Helfer des Bayerischen Roten Kreuzes sich weiter über dieses Thema auslassen können, ertönt ein Gongschlag in der Sanitätsbaracke gleich hinter dem Käfer-Zelt.

Auf einer elektronischen Tafel blinkt in roten Lettern "03" - Aufforderung an die Vier, zum nächsten Einsatz aufzubrechen. Eine junge Frau hat am Eingang des Schottenhamel-Zeltes einen Kreislaufzusammenbruch erlitten, ist dem Einsatzauftrag zu entnehmen.

Ein Security-Mann hatte die BRK-Einsatzleitung über die Wiesn-Hotline, 50222222, über den Fall informiert. Der 21-jährige Christoph schnappt sich ein Funkgerät, dann rennen die vier Sanitäter los. Kondition ist hier gefragt.

Nur zwei bis drei Minuten darf der Weg zum Einsatz dauern, um die optimale Versorgung der Patienten zu gewährleisten.

"Vorsicht, bitte"

Christoph eilt voraus. "Vorsicht, bitte", schreit er immer wieder den Wiesn-Besuchern zu, die sich auf der Straße zwischen den Bierzelten drängeln.

Die drei anderen zerren im Laufschritt die fahrbare Trage, das gelbe Gefährt, hinter sich her.

Als die Vier eintreffen, liegt eine junge blonde Frau am Boden. Sie hat die Beine hochgelegt. Ohnmächtig sei sie geworden, erzählt sie später. Nein, getrunken habe sie nur eine halbe Maß. Nicht mehr. Das neue Dirndl sei wohl ein wenig zu eng.

Tim, im Normalleben Student der evangelischen Theologie, hat die medizinische Versorgung übernommen. Er checkt Blutdruck, Blutzucker, den Sauerstoff-Gehalt im Blut und den Puls.

So weit scheint alles wieder in Ordnung zu sein, doch die 23 Jahre alte Studentin ist noch sehr blass und fühlt sich auch "nicht fit". "Ich bin schon dreimal in diesem Jahr umgekippt", sagt sie. Die Vier sagen den bereits informierten Rettungswagen wieder ab, packen die sichtlich nüchterne Frau, die sich Anna nennt, aber vorsichtshalber auf die "gelbe Banane".

Auf den Sichtschutz, die gelbe Plastikhülle, verzichten sie, damit Anna ein wenig Frischluft bekommt.

Anna ist ein typischer Fall für die Sanitäter und Ärzte, die jedes Jahr auf dem Oktoberfest ehrenamtlich für das BRK im Einsatz sind - während der Wochenenden sind es 90, während der Woche mindestens 50.

Genau 5317 Patienten hatten sie im vergangenen Jahr zu versorgen, heuer sind es zur Halbzeit schon 4279. Mindestens die Hälfte davon suchte wegen Kreislauf-, Herz und Atembeschwerden oder Platzwunden Hilfe in den vier Sanitätsstationen.

Der Rest verlangte zumeist nach Pflastern oder Kopfschmerztabletten.

Die Container, in denen die Stationen untergebracht sind, wirken sehr einfach, und doch entspricht ihre Ausstattung den Ambulanzen von Krankenhäusern.

"Es macht einfach Spaß zu helfen"

Im nächsten Jahr soll es in den neuen, sich noch im Bau befindlichen Räumen sogar möglich sein, klaffende Wunden in einem kleinen OP zu nähen, erzählt die diensthabende Einsatzleiterin, die Ärztin Monika Mirlach.

Bisher werden diese Verletzungen noch von den umliegenden Krankenhäusern behandelt.

Mirlach ist Anästhesistin. Seit 27 Jahren ist sie beim BRK, für ihre Einsätze auf der Wiesn nimmt sie sich jedes Jahr Urlaub. "Das ist Ehrensache", sagt sie.

Auch für Tim, Julia, Christine und Christoph. Wie die vielen anderen Helfer hier können auch sie ihren nächsten Einsatz kaum erwarten. "Das klingt vielleicht etwas seltsam, weil ja niemand einem Menschen was Böses wünscht. Aber es macht einfach Spaß, zu helfen, und die Wiesn ist da schon eine ganz besondere Herausforderung", beschreibt Tim das Gefühl, das hier wohl alle dazu bringt, sich einen Knochenjob wie diesen anzutun.

10 Prozent Bierleichen

Denn die Arbeitsbedingungen sind hart: Ein Einsatz beginnt um 9 Uhr morgens und endet oft erst um zwei Uhr nachts. Für richtige Pausen, um etwas zu essen oder zu trinken, ist meistens keine Zeit. Hinzu kommen das Gedränge auf der Wiesn, die vielen Schaulustigen und die vielen Angetrunkenen: "Da kommt es schon mal vor, dass man sich eine einfängt", sagt Christoph.

Wichtig sei es daher, immer Distanz zu wahren - zu den Besuchern ebenso wie zu den Patienten.

Als Anna durch die Menge geschoben wird, zeigt ein Mann in Lederhosen mit dem Finger auf die blonde Frau: "Schauts her, da ist wieda oane b'suffa", schreit er. Sein Freund zückt die Videokamera. Später, nachdem Anna längst in einem der Ruheräume untergebracht ist, bricht es dann doch aus Tim heraus: "Solche Vorurteile können einen schon wütend machen. Es gibt weniger Bierleichen als die denken."

Die Statistik gibt ihm Recht: Von allen Patienten im vergangenen Jahr waren es gerade mal zehn Prozent, die nur wegen starken Alkoholkonsums behandelt werden mussten.

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