Unterstützung für Hinterbliebene von Flutopfern:Uni München bietet psychologische Hilfe an

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Bei mangelnder Betreuung drohen vor allem den Angehörigen von Vermissten schwere psychische Störungen

Von Birgit Lutz-Temsch

Was sie gesehen haben, werden sie so schnell nicht vergessen: Andreas Müller-Cyran und Markos Maragkos, Mitarbeiter im Department Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität sind zurück aus Thailand, wo sie betroffenen Europäern nach der Flutkatastrophe in Südasien geholfen haben. Zwei Tage nach den verheerenden Tsunamis brachen die beiden Psychologen nach einem Anruf aus dem Auswärtigen Amt nach Phuket auf.

Dort suchten sie zuerst nach verletzten Europäern in den Krankenhäusern, organisierten dann Rücktransporte von Verletzten und kümmerten sich um angereiste Angehörige, die nach vermissten Familienmitgliedern suchten (aktueller Stand für München: 54 Vermisste und ein Toter).

Diese erste, vorwiegend praktische Hilfe sei wichtig gewesen, sagen die Psychologen, ebenso wichtig sei nun aber die weitere psychologische Betreuung, vor allem von Menschen, deren Angehörige vermisst werden. Die Trauma-Ambulanz der LMU bietet zu diesem Zweck Einzel- und Gruppengespräche für direkt Betroffene und Angehörige, insbesondere von Vermissten an.

Forderung nach psychologischem Notfall-Netzwerk

Auch das Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität betreut Verletzte aus dem Katastrophengebiet medizinisch und psychologisch. Eine umfassende Betreuung dieser Menschen sei notwendig, um die Entwicklung schwerer psychischer Störungen zu verhindern, so der Leiter der Trauma-Ambulanz der LMU, Willibald Butollo.

Gleichzeitig forderte Butollo die Einrichtung eines psychologischen Notfall-Netzwerks, das ähnlich wie die medizinischen Rettungsdienste organisiert sein sollte. Die große Anzahl der nicht identifizierten Toten und Vermissten stelle ein Problem dar, das es in diesem Maß seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben habe.

Rita Rosner, Spezialistin für Kriegstraumatisierung, kann dabei auf ihre Erfahrungen bei der Behandlung bosnischer Frauen zurückgreifen, deren Männer verschleppt und ermordet wurden, deren Leichen aber nie gefunden wurden. Die Ungewissheit über das Schicksal einer nahe stehenden Person sei ein Stressfaktor für die Psyche, der erhebliche Gefahren in sich berge, so Rosner.

So komme es zu Angststörungen oder psychosomatischen Störungen, manche Menschen würden depressiv und isolierten sich sozial. Betroffene scheuten sich oft davor, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, da sie nicht als "psychisch krank" abgestempelt werden wollen.

Lieber nicht entstellte Leichen der Angehörigen sehen

Willibald Butollo appelliert deshalb besonders an Verwandte oder Bekannte von Menschen, die bei der Flutkatastrophe jemanden verloren haben oder noch vermissen, auf die Menschen einzuwirken, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Von der Suche nach Vermissten auf eigene Faust rät Maragkos dringend ab. Die Augenscheinnahme sei kein verlässlicher Identifizierungsweg mehr.

Bei der Suche mit Fotos komme hinzu, dass die höflichen Thailänder nicht gewöhnt seien, Nein zu sagen, und deshalb oft nickten, wenn man ihnen Bilder von Vermissten zeige - obwohl sie die Menschen noch nie gesehen haben.

Für die Angehörigen sei es hilfreicher, die entstellten Leichen in den Katastrophengebieten nicht zu sehen, sondern sich ihren Vermissten als unversehrten Leichnam vorzustellen. Ein Weg der Trauerarbeit sei auch, mit einem Ritual im Familienkreis von dem geliebten Menschen bewusst Abschied zu nehmen.

Die Ambulanz der LMU ist zu erreichen unter 089/21805225 oder über ambulanz@psy.uni-muenchen.de, die AOK Bayern hat von Montag an eine Rufnummer für ihre Versicherten eingerichtet: 089/62730333.

© SZ vom 8./9. Januar 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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