Turmbau zu München:Dürfen Häuser in der Landeshauptstadt den Dom überragen?

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Am Sonntag stimmen die Münchner endlich ab über Dinge wie 100-Meter-Maße, "Verhunzelung" der Stadt und Standortvorteile. Ein Lage(r)bericht kurz vor dem Bürgerentscheid.

Von Jan Bielicki

Die Stadtväter hatten große Pläne. Gewaltig sollten spitze Turmhelme in damals modernster Spätgotik den neuen Dom und die aufstrebende Stadt überragen. Doch dann plagte die Herren Stadträte ein seither immer wiederkehrendes Problem: Die Stadtkasse war leer, und darum kürzten sie.

Wollt ihr sie oder nicht? Am Sonntag werden sich die Münchner entscheiden. (Foto: Foto: ddp)

Auf die beiden Turmstümpfe der Frauenkirche setzten sie statt teurer Spitzhelme billigere Rundhauben - bis heute Münchens 99 und 100 Meter hohe Wahrzeichen und knapp ein halbes Jahrtausend später Maß eines ebenso possenhaften wie erbitterten Lokalstreits um hohe Häuser und niedrige Eitelkeiten.

Am Sonntag nämlich stimmen die Münchner darüber ab, ob in ihrer Stadt "die Geldknappheit des 16. Jahrhunderts auch die Bautätigkeit des 21. Jahrhunderts prägen soll", wie Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) klagt.

Denn genau auf das Hundert-Meter-Maß der mittelalterlichen Frauenkirche möchte eine Bürgerinitiative alle Hochhäuser gestutzt sehen, die künftig in den weiß-blauen Himmel über München wachsen könnten. Die rund 30.000 nötigen Unterschriften, um ihr Bürgerbegehren zur verbindlichen Abstimmung zu stellen, waren schnell beisammen.

Weit von der Frauenkirche entfernt

Denn treibende Kraft der Initiative war und ist Udes vor allem unter älteren Münchnern immer noch populärer Vorgänger: Georg Kronawitter, Sozialdemokrat wie Ude und bis 1993 Oberbürgermeister, startete einen wahren Kreuzzug gegen "Verschandelung" und "Verhunzung, die er überall ins Stadtbild schießen sah.

Was er meint, sind Hochhäuser. Kronawitter und seine Getreuen wollen mit dem Bürgerentscheid verhindern, dass der Elektronikkonzern Siemens zwei bis zu 148 Meter hohe Bürogebäude auf sein Werksgelände im Münchner Süden baut und der Süddeutsche Verlag seine neue Zentrale 146 Meter hoch in den Osten der Stadt stellt.

Die geplanten Bauten liegen - wie auch andere in den vorigen Jahren bis auf 146 Meter in die Höhe gezogene Bürotürme - alle, weit entfernt von der Frauenkirche und schützenswerten Altbauensembles, in bisher wenig attraktiven Außenbezirken.

Der einsame Kämpfer

"Die Hochhäuser werten ganze Viertel auf", wirbt Ude. Tatsächlich wurden ihre Standorte allesamt von städtischen Kommissionen, in denen Stadtplaner und Architekten versammelt waren, gut geheißen und von allen Fraktionen des Stadtrats gebilligt. Das jedoch ficht Kronawitter nicht an, der sich schon zu Amtszeiten gerne als einsamer Kämpfer gegen "renditesüchtige Investoren" stilisierte.

An "Klassenkampfparolen aus dem 19. Jahrhundert" fühlt sich der vom Alt-OB stets gönnerisch als "Wunschnachfolger" betitelte Ude erinnert. Er hat ein Bündnis aller Gewerkschaften, Wirtschaftskammern und Parteien zusammengetrommelt, das Investitionen und Arbeitsplätze in Gefahr sieht und fast schon verzweifelt versucht, wahlmüde Münchner gegen die emsigen Hochhaus-Gegner zu mobilisieren.

Ein Ja zum hochhausstürzenden Bürgerbegehren wäre "ein verheerendes Signal für die Zukunft des Wirtschaftsstandorts München", warnt Ude. Gerne weist er auch darauf hin, wann zum ersten Mal ein Haus über die Doppeltürme der Frauenkirche ragen durfte: Der Büroturm der Hypovereinsbank wuchs unter der Ägide seines Vorgängers Kronawitter - 114 Meter hoch.

© SZ vom 19.11.204 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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