Trotz Wiederholungsgefahr:Dürer-Attentäter aus Psychiatrie entlassen

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Seine Attacken haben der Kunstwelt einen Schock versetzt: Hans-Joachim B. zerstörte Gemälde im Wert von 270 Millionen Mark, darunter drei Dürer-Werke. Nach 16 Jahren in der Psychiatrie ist B. jetzt wieder auf freiem Fuß - obwohl Gutachter von einer hohen Wiederholungsgefahr ausgehen.

Von Alexander Krug

Was wiegt schwerer, der Freiheitsanspruch des Einzelnen oder das Recht der Allgemeinheit auf die Unversehrtheit unschätzbarer Kulturgüter? Vor dieser Güterabwägung stand das Hanseatische Oberlandesgericht - und es gab dem Grundrecht auf Freiheit den Vorrang.

Albrecht Dürer, die Beweinung Christi (Foto: Foto: dpa)

Seit einigen Tagen ist Hans-Joachim B. deswegen aus dem so genannten Maßregelvollzug in einer Hamburger Psychiatrie entlassen, wenn auch unter Auflagen: Er wurde unter Führungaufsicht gestellt, bekam einen Bewährungshelfer, darf Hamburg ohne Genehmigung nicht verlassen und hat ein Betretungsverbot für Museen und Kunsthallen.

Der heute 67 Jahre alte B. hatte seit 1977 in einer beispiellosen Serie Skulpturen und Bilder von unermesslichem Wert zerstört. 1979 wurde er erstmals in Hamburg zu fünf Jahren Haft verurteilt. Nach seiner Entlassung legte er Brände und zerstörte Baumaschinen - und bekam erneut drei Jahre Haft.

Im April 1988 schließlich schüttete er Schwefelsäure über drei Hauptwerke von Albrecht Dürer in der Alten Pinakothek ("Paumgartner Altar", "Beweinung Christi" und "Maria als Schmerzensmutter"), der Schaden wurde auf mindestens 100 Millionen Mark geschätzt. Insgesamt soll B. 51 Kunstwerke im Wert von rund 270 Millionen Mark zerstört haben.

Nach dem Säure-Anschlag verurteilte ihn das Landgericht München 1989 wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung zu zwei Jahren Haft und Unterbringung in einem Bezirkskrankenhaus.

B. leidet seit frühester Jugend unter Kontrollzwängen und Angstzuständen. Bereits in den 70-er Jahren wurde er deshalb nervenärztlich behandelt und sogar am Hirn operiert. Die Operation erwies sich als Fehlschlag, B. wurde Frührentner.

Seit dem Urteil des Münchner Landgerichts befand sich B. in der geschlossenen Abteilung einer Hamburger Klinik. Dort wurde er auch weiter therapeutisch behandelt, letztlich aber ohne Erfolg.

Nach Einschätzung von Gutachtern ist B.'s schwerwiegende Persönlichkeitsstörung nicht mehr heilbar. Im Laufe der Jahre entwich er zweimal aus der Klinik, einmal wurde er nach einem Tag gefasst, das zweite Mal kehrte er nach zwei Tagen wieder freiwillig zurück.

Das Hamburger Landgericht ordnete im vergangenen Jahr an, ihn aus der Psychiatrie zu entlassen. Die Staatsanwaltschaft München I legte gegen diesen Beschluss Beschwerde ein - letztlich aber ohne Erfolg.

Die Staatsanwaltschaft macht geltend, dass B. aufgrund seiner "eingeschliffenen, zwanghaft empfunden Verhaltensmustern" wiederum Welt- und Kulturgüter von unschätzbarem Wert beschädigen könnte.

Vor dem "hohen Risiko" neuerlicher Anschläge auf Kunstwerke von Weltrang müssten die Freiheitsrechte des Angeklagten zurückstehen. Die verhängten Auflagen hält die Staatsanwaltschaft für "völlig unzureichend".

Auch das Hanseatische Oberlandesgericht äußert in seinem Beschluss massive Zweifel an diesen Auflagen. Die Richter sind sich ebenso des Risikos bewusst, das von B. ausgeht. Die Möglichkeiten einer Heilung seien weitgehend "ausgeschöpft", es bestehe daher weiterhin die Gefahr, dass er Straftaten gegen Kunstwerke begehe.

Dennoch entschieden sich die Richter, dem Freiheitsanspruch von B. letztlich den Vorrang zu geben. Der 67-Jährige sei seit fast 16 Jahren untergebracht, obwohl er 1989 nur wegen Sachbeschädigung verurteilt worden ist.

Er habe bereits das Fünffache der seinerzeit ausgesprochenen Haftstrafe in Unfreiheit verbracht. Eine lebenslange Unterbringung sei in einem solchem Fall mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht mehr vereinbar und daher unverhältnismäßig.

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