Todesermittler bei der Polizei:Letzte Zweifel

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Vizechef Thomas Althaus mit dem Handwerkszeug der Todesermittler. (Foto: Robert Haas)

Die Todesermittler des Polizeipräsidiums München untersuchen jedes Jahr mehr als unklare 2000 Fälle. Die Arbeitsbelastung steigt ständig an, denn Ärzte attestieren immer seltener ein natürliches Ableben. Doch eines ist noch belastender als der Umgang mit den vielen Leichen.

Von Susanne Wimmer

Es gibt Tage, die hauen selbst den härtesten Todesermittler um. Wenn Kinder sterben, wenn Leichen besonders entstellt sind. Oder wenn die Arbeit an einem Tag überhaupt nicht abreißen will und die Polizisten eine Leiche nach der anderen untersuchen müssen. Letzteres wird langsam zum Problem: Mehr als 2000 Todesermittlungen mussten die Beamten vom Kommissariat 12 im vergangenen Jahr durchführen, "und die Zahl der Fälle nimmt weiterhin rasant zu", sagt der stellvertretende Leiter Thomas Althaus.

Nicht etwa, weil in München die Zahl der Todesfälle steigt, sondern weil die Ärzte immer seltener auf dem Totenschein eine "natürliche Todesursache" attestieren.

14 Beamte sind beim K 12 im Münchner Polizeipräsidium mit den Todesermittlungen betraut - und alle machen diesen Job freiwillig. "Anders wäre die Arbeit gar nicht zu bewältigen", sagt Vize-Chef Althaus. Denn den Todesermittlern wird viel abverlangt, vor allem in psychischer Hinsicht. Sie haben täglich mit Leichen zu tun, sie müssen sie berühren und untersuchen, und sie müssen das Leid der Angehörigen miterleben. "Vor allem der Umgang mit den Hinterbliebenen ist oft sehr belastend", sagt Althaus. Für viele Kollegen sei da sogar die Arbeit an der Leiche leichter. "Wir sehen es quasi als den letzten Dienst an, den wir dem Toten erweisen."

Es ist der letzte Dienst - und natürlich auch der kriminalistische Eifer, eventuell einen Verbrecher zu überführen. Denn die Ermittler vom K 12 werden gerufen, wenn der zur Leichenschau hinzubestellte Arzt eine "nicht natürliche" oder "ungeklärte" Todesursache bescheinigt. "Nicht geklärt" bedeutet, der Arzt ist sich unsicher, woran der Betroffene gestorben sein könnte. "Nicht natürlich" heißt, es handelt sich um einen Suizid oder "dem Tod ist irgendwas vorausgegangen", wie Althaus sagt. Das kann ein Sturz sein, ein ärztlicher Kunstfehler oder ein Tötungsdelikt. Genau darin besteht die Aufgabe der Todesermittler: Sie müssen herausfinden, ob bei einem Todesfall ein Fremdverschulden definitiv auszuschließen ist. Anders herum gesagt: Sie müssen im Zweifelsfall einen Mord erkennen.

Jahr für Jahr steigt die Zahl der sogenannten Polizeileichen in München an. 2012 bescheinigten die Ärzte bei 2076 Leichen eine nicht geklärte oder nicht natürliche Todesursache. In 1114 Fällen wurde auf Anraten des K 12 eine Obduktion angeordnet, bei der die Ermittler im Übrigen anwesend sind. "In diesem Jahr hatten wir bereits 1747 Fälle zu bearbeiten, das sind schon gut 200 mehr als im Vergleichszeitraum 2012", sagt Althaus. Warum die Ärzte zögern, eine natürliche Todesursache anzukreuzen, darüber kann Althaus nur spekulieren: Vermutlich hänge es damit zusammen, "dass zuständige Behörden wie etwa das Gesundheitsamt im Rahmen der Qualitätssicherung Totenscheine stärker überprüfen".

Zuweilen werden die Ermittler aber auch bei "natürlichen Todesursachen" auf den Plan gerufen: Eine Münchnerin etwa war in einer Klinik verstorben, ein Arzt hatte eine natürliche Todesursache bescheinigt. Die Leiche wurde bestattet. Das Gesundheitsreferat der Stadt bat im Rahmen einer Qualitätssicherung um eine Überprüfung durch das K 12. Die Ermittler stießen im vertraulichen Teil des Totenscheins auf ein "subdurales Hämatom", eine Blutung im Gehirn. "Möglich, dass die von einem Sturz resultierte", meint Althaus. Ob die Frau exhumiert und obduziert wird, muss die Staatsanwaltschaft beziehungsweise das Amtsgericht entscheiden.

Der Tod hat viele grausame Gesichter. Die Todesermittler vom K 12 müssen den Anblick, den Geruch und das Berühren von Leichen jeder Art ertragen können. Selbst wenn der Körper von Maden befallen wurde, halb verfault oder mumifiziert ist, muss die Arbeit getan werden: Die Leiche entkleiden, drehen und auf Auffälligkeiten hin untersuchen. Dann müssen alle Körperöffnungen angeschaut werden. Schließlich wird mehrmals hintereinander die Körpertemperatur des Toten gemessen und auch die Raumtemperatur, um den Todeszeitpunkt besser eingrenzen zu können.

Die Profis wissen, auf was sie zu achten haben. "Bei einem Erstickungstod beispielsweise bilden sich ganz charakteristische, punktförmige Einblutungen in den Augenbindehäuten oder an anderen Stellen", erklärt Thomas Althaus. Oder das kleine Zungenbein: Es breche sehr leicht "bei einem Würgevorgang". Überhaupt ist medizinisches Wissen für einen Todesermittler unabdingbar.

Nur die Ermittler vom K 12 sind befugt, eine Leiche zur Feuerbestattung frei zu geben. Zuvor studieren die Fahnder den vertraulichen Teil der Todesbescheinigung. Hier sind Vorerkrankungen, Unfälle und relevante Vorgänge aufgeführt. Steht da beispielsweise "Aspiration" auf dem Blatt, wird der Ermittler stutzig: Hat der Betroffene beim Essen einen Brocken "in den falschen Hals" bekommen und ist daran erstickt? Oder ist er an Erbrochenem erstickt? "Für die Ermittler ist das natürlich von Interesse", meint Althaus, "und wenn ich eine Feuerbestattung unterschreibe, ist die Leiche unwiederbringlich weg."

Belastend sei der Job auf alle Fälle, sagt Althaus. Im Kollegenkreis werde viel geredet, um das Erlebte besser verarbeiten zu können. Und auch wenn Althaus mit Leib und Seele bei den Todesermittlern zugange ist, so sieht er doch ein kleines Manko: Trotz der harten Arbeit und der Belastung sind die Stellen der Ermittler vom K 12 niedriger eingestuft als Kollegen von anderen Dienststellen.

© SZ vom 01.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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