Therapien gegen Phobien:Spinnen, Schlangen und ihr Schrecken

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Kann ein Phobiker jemals Spinnen oder Schlangen mögen? Ursula Riedinger ist davon überzeugt. Die Therapeutin bietet im Münchner Tierpark Hellabrunn Seminare an, in denen Menschen lernen, mit ihrer Angst umzugehen. Denn oft sind die Ängste nur ein Ventil für etwas ganz anderes.

Jakob Wetzel

Ursula Riedinger, 51, ist Heilpraktikerin für Psychotherapie, ausgebildete Tierpflegerin und Therapeutin für tiergestützte Therapie. Im Tierpark Hellabrunn leitet sie mit einer Kollegin ein Seminar zur Bewältigung von Spinnen- und Schlangen-Phobien. Die SZ sprach mit ihr nach der ersten Therapiesitzung.

Angst vor Schlangen, hier eine Kornnatter: Hilfe zur Selbsthilfe (Foto: dpa)

SZ: Frau Riedinger, wie viele Phobien haben Sie denn heute beseitigt?

Ursula Riedinger: Beseitigt noch keine, das dauert. Unser Seminar ist ein Einstieg, wir bieten Hilfe zur Selbsthilfe. Wir fangen langsam an, klären erst einmal, wo das Problem liegt, wie stark die Angst ist und wo sie herkommt. Nicht immer sind tatsächliche Erlebnisse mit Tieren schuld. Spinnen und Schlangen kommen bei uns ja gar nicht so häufig vor wie in anderen Gebieten dieser Welt.

SZ: Angst vor Schlangen kann entstehen, ohne dass eine Schlange im Spiel ist?

Riedinger: Ja. Oft verlagert sich ein anderes Trauma, dem man vielleicht häufiger ausgesetzt ist, bei dem man aber seine Furcht nicht zeigen darf. Damit die Angst ein Ventil hat, verlegt man sie beispielsweise auf Schlangen. Oder jemand übernimmt eine Angst, etwa von den Eltern. Aber natürlich gibt es auch Phobiker, die tatsächlich einmal gebissen worden sind.

SZ: Wie wird man eine Phobie los?

Riedinger: Grundsätzlich kann alles, was erlernt ist, auch wieder verlernt werden. Wenn ich gelernt habe, vor einem Tier Angst zu empfinden, kann ich auch lernen, dass ich keine Angst haben muss, sondern nur eine gesunde Vorsicht, weil es nicht so gefährlich ist wie in meiner Vorstellung.

SZ: Sie erklären einem Spinnen-Phobiker, dass Spinnen ganz nette Tiere sind?

Riedinger: Im Seminar lernen die Teilnehmer das an den Tieren selbst. Ich habe oft beobachtet, wie Menschen sehr positiv auf Tiere reagieren. Tiere genießen einen Vertrauensbonus, und Menschen öffnen sich eher, wenn sie Vertrauen empfinden. Das gilt auch für die Angst-Therapie.

SZ: Der Phobiker vertraut der Spinne?

Riedinger: Zuerst nicht, da er ja erstmal nichts Positives mit der Spinne verbindet. Aber er merkt dann, dass eine Schlange gar nicht kalt und glitschig ist und eine Spinne eigentlich ganz weich. Und dass da nichts ist, vor dem er riesige Angst haben müsste. Die Tiere sprechen hier für sich. Wir tasten uns allerdings ganz langsam an die Angst heran, ganz ruhig und ohne Geschrei. Wir stecken niemanden in einen Raum, erzählen ihm fünf Minuten lang etwas über Spinnen und klatschen ihm dann ein Tier auf die Hand. Das würde eine Phobie eher verstärken. Zunächst konfrontieren wir die Teilnehmer mit Stofftieren, dann mit recht realistisch aussehenden Plastiktieren, dann mit Spinnen- und Schlangenhäuten. Am Ende können sie vorsichtig lebende Tiere anfassen.

SZ: Wann brechen Sie eine solche Konfrontation ab?

Riedinger: Die Teilnehmer können selbst abbrechen. Jeder geht nur so weit, wie er will. In den Übungen bestimmen die Teilnehmer, wie nahe ihnen etwa das Stofftier kommen darf. Wenn es zu viel wird, heben sie die Hand und rufen "Stopp!". Mit dem Stofftier gibt es kaum Probleme, aber auch das ist eine wichtige Erfahrung. Die Teilnehmer fühlen sich wohl, obwohl es um ihre Ängste geht, und obwohl sie in kurzer Zeit auf ein echtes Tier treffen werden. Plastiktiere sind schon eine größere Herausforderung.

SZ: Was lernen die Teilnehmer?

Riedinger: Sie sollen vor allem einen Weg finden, auf Angst anders zu reagieren als mit Panik. Angst bedeutet Enge, der Handlungsspielraum engt sich ein, Panik führt zum Angriff gegen das Tier, zur Flucht oder zur Erstarrung. Die Teilnehmer sollen lernen, sich einen sicheren Ort vorzustellen und die Angst zu beobachten - und schon geht sie vorbei. Das Angstgefühl ist oft so überwältigend, als gebe es nichts anderes als dieses Gefühl. Wer aber lernt, genauer hinzusehen, gewinnt Distanz zur Angst und besiegt die Ohnmacht. Am meisten freut mich, wenn jemand aus dem Seminar kommt und eine neue Stärke an sich entdeckt hat.

SZ: Das klingt, als bräuchte es nur etwas Übung, und die Phobie ist besiegt.

Riedinger: Wie lange das dauert, ist individuell verschieden. Deswegen gibt es auch kein bestimmtes Ziel. Jeder soll dahin kommen, wo er sich selbst haben will. Sonst würden wir die Teilnehmer unter Druck setzen - und wer scheitert, wäre frustriert. Das wäre schlimm.

SZ: Wie motivieren Sie denn die Teilnehmer, sich ihren Ängsten zu stellen?

Riedinger: Motiviert sind sie schon. Für sie ist es bereits ein Riesenschritt, überhaupt zu uns zu kommen. Immerhin gehen sie in den Tierpark - also dahin, wo es tatsächlich all diese Tiere gibt, vor denen sie Angst haben. Heute waren vier Personen hier, angemeldet hatten sich zwei weitere, die kommen wohl zu einem späteren Termin. Und bald gibt es sicherlich auch ein Seminar für Fortgeschrittene.

© SZ vom 19.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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