Taxifahren in München:Unterwegs am Rande der Gesellschaft

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"Die Zahl der zwielichtigen Kollegen nimmt zu": Warum es dem Münchner Taxigewerbe so schlecht geht.

Von Bernd Kastner

Frank Flint hat heute noch nicht gestochen. Er wartet auch erst drei Stunden, so ein schneller Stich wäre ein Wunder. Seit halb neun steht sein Fahrzeug in der Schlange, die Sonne scheint, er sitzt auf einer Bank, hinter ihm steht Auto an Auto. Einige Kollegen spielen Schach oder Schafkopf auf Bierbänken, andere lesen Zeitung hinterm Lenkrad oder schlafen.

(Foto: Foto: dpa)

Flughafen München, Terminal 2, Taxi-Speicher. Ja, ja, sagt Frank Flint und grinst, er wisse schon. Die Razzia. Dann beginnt er zu erzählen von einem Gewerbe, das ins Gerede gekommen ist, nicht erst, seit neulich die Zollfahnder aufgekreuzt sind und seither Münchens größter Taxiunternehmer im Gefängnis sitzt. Später wird Flint sagen: ¸¸Die Zahl der zwielichtigen Kollegen nimmt zu." Er wird erzählen von den Tricks gegen Staat und Fahrgast, von der ¸¸Ungarn-Schleife" und von blutigen Nasen, und dann wird er bitten, seinen richtigen Namen besser doch nicht zu nennen. Die Kollegen, wer weiß, wie die reagieren.

Er hat ungefähr 20 000 Kollegen in München. Bestimmt gibt es genauso viele Geschichten und Wahrheiten über das elfenbeinfarbene Gewerbe, und natürlich sind die schwarzen Schafe Inhalt der Geschichten. Einigkeit herrscht nur darin, dass das Geschäft am Boden ist. ¸¸Die Lage ist dramatisch," sagt Max Herzinger, Vorstand der Taxi-Genossenschaft. Bei ihm beginnt der Streifzug durch das Gewerbe, der bei Flint enden wird. Stimmt es, was man so hört und liest, dass immer mehr Taxi-Unternehmer und -fahrer den Kunden übers Ohr hauen und den Staat betrügen?

Vor Herzinger liegt eine Mappe mit Beschwerden, jede Woche werden ein paar Fahrer einbestellt, gerade wartet wieder einer vor der Tür. Der Genossenschafts-Chef holt ein wenig aus. Noch nie seien die 3350 Taxis, so wie heute, fast alle gleichzeitig unterwegs gewesen. Das bedeute einen Stundenumsatz von durchschnittlich sieben Euro. Sieben Euro! Noch nie habe es so viele Neueinsteiger über fünfzig gegeben. Menschen, die sich im Taxi bis zur Rente über Wasser halten wollen. Auch die Zahl der Ausländer steige ständig. Und dass unter den vielen, vielen Fahrern einige seien, die schlecht Deutsch können, die den Fahrgast und sein Ziel nicht recht verstehen und nicht nachfragen wollen, sondern aufs Geratewohl losfahren oder absichtlich einen Umweg fahren - ja, ¸¸die Probleme haben wir wirklich, das ärgert uns".

Ehe er seinen Gast verabschiedet und bittet, das Negative nicht zu schreiben, berichtet er noch Positives: Die Taxiprüfung könne gar nicht schwieriger sein als in München, und die amtlichen Kontrollen der Taxischeine und der Autos und der Sozialabgaben seien auch streng. ¸¸Wir werden vorzüglich kontrolliert vom Kreisverwaltungsreferat." Sagt auch Hans Billmeier, Vorsitzender der Taxivereinigung: ¸¸Die Sanktionen sind gnadenlos. So ein Unternehmer würde nie wieder auf die Beine kommen."

Dass die ¸¸scharfen Kontrollen" so gut ankommen, freut Reiner Knäusl, den Chef der KVR-Verkehrsabteilung. ¸¸Das Gros der Taxifahrer verhält sich korrekt", sagt er und nennt ein paar Zahlen, doch echte, aussagekräftige Statistiken fehlen. Nur 253 Beschwerden von Fahrgästen und Taxi-Kollegen seien im vergangenen Jahr beim KVR eingegangen, meist wegen Fahrtverweigerung, Unfreundlichkeit oder Fahren eines Umwegs. 52 Ermahnungen und sechs Abmahnungen habe das KVR geschrieben, was, gemessen an den rund 1,5 Millionen Fahrten pro Jahr, nicht viel sei. Bei gravierenden Verstößen, garantiert Knäusl, sei der Taxischein weg.

¸¸Die Wirklichkeit ist leider anders." Hubert Schmidt sagt das, Geschäftsführer von Isar-Funk. Es dauere zu lange, bis das KVR einer Beschwerde nachgehe, manchmal passiere auch gar nichts. Schmidt erzählt, was er und zwei Taxi-Kollegen vor ein paar Jahren erlebt haben: Die drei kommen nachts um eins aus einem Wirtshaus im Tal, da spricht sie plötzlich ein Taxifahrer an, will den Dreien zu einer amourösen Nacht verhelfen: Wollen Sie Frauen gucken? Kostet nix! Schmidt ist heute noch empört, ¸¸so was darf nicht sein!". Sofort habe er ihn beim KVR angezeigt - doch der Mann fahre Taxi wie eh und je. Am meisten aber leide man in München am Verkehr, weil die Stadt die Bus- und Tram-Spuren nicht für Taxis freigebe - und an sich selber. ¸¸Wir müssen einfach besser werden." Viele müssten erst begreifen, dass sie Service bieten müssten. ¸¸Es wird aber nichts gemacht von der Gewerbevertretung", klagt Schmidt. Keine Schulung, keine Weiterbildung. ¸¸Daran krankt"s." Schmidt zielt auf Genossenschaft und Taxivereinigung.

Manche der Taxi-Oberen sind sehr mit ihren brancheninternen Widersachern beschäftigt. Das Wort vom ¸¸Taxi-Krieg" macht die Runde, seit im vergangenen Jahr Isar-Funk der Vereinigung die Flughafen-Konzession wegschnappte. So wundert es nicht, dass deren Chef Billmeier und seine Pressesprecherin Carmen Roithmeier vor allem über die Zustände am Flughafen jammern, und über die von Isar-Funk so in die Höhe getriebenen Gebühren für die Taxler. Und über die Plage der unzähligen unkundigen Land-Taxler. Bei den Landratsämtern rund um MUC könne sich fast jeder mühelos einen Schein besorgen, ohne sich in der Stadt auszukennen.

Vergangenen Herbst gab es schon mal eine Kontrolle am Terminal. Carmen Roithmeier lacht. Weil sich die Kontrolleure ungeschickt angestellt hätten: Vorne in der Schlange haben sie angefangen, und bis sie hinten waren, hätten viele Reißaus genommen. Dann räumt sie ein, dass die Sache mit den 400-Euro-Jobs und den korrekten Sozialabgaben natürlich sehr schwer zu kontrollieren sei. ¸¸Das ist ein Graubereich." Für diese Kontrollen sind Steuerfahndung und Zoll zuständig. ¸¸Ameisengeschäft" nennen die Ermittler die Droschken-Branche wegen der vielen, kaum kontrollierbaren Mini-Unternehmen. Vom ¸¸Kampf gegen Windmühlen" spricht ein Fahnder, und dass man sich zumindest bemühe, ¸¸Duftmarken" zu setzen.

Frank Flint, der Taxi-Fahrer am Terminal 2, sitzt noch auf der Bank, einen Aufenthaltsraum gibt es nicht für die Taxler, die zu hunderten warten. Seinen ersten Stich wird Flint irgendwann am Nachmittag machen, nach fünf, sechs Stunden. ¸¸Die Moral im Gewerbe geht kontinuierlich bergab", sagt er und berichtet von offiziell arbeitslosen fahrenden Kollegen. Das ärgere ihn sehr, schließlich werde er ja auch beschissen. Viele frische Fahrer bekämen dann von einem Unternehmer einen Minijob. Regulär müsste der jeden Monat seine Autoschlüssel abgeben, wenn er die 400 Euro eingefahren hat. ¸¸Die fahren aber wie die Teufel." Die kleineren und größeren Betrügereien seien nicht neu. Dem Staat melde man einen geringeren Umsatz, um Steuern zu drücken. ¸¸Im Finanzamt wissen die das schon immer", ist Flint sicher, ¸¸aber die haben noch nie zu tief nachgebohrt." Sonst ginge das Gewerbe hops, und alle stünden im Sozialamt.

Ein Flieger steigt steil in den Himmel, Flint muss seinen Wagen ein paar Meter nach vorne fahren. Ihm stinkt das System, aber er wirkt nicht wie einer, der es den anderen endlich heimzahlen möchte. Ruhig und mit der Erfahrung von 24 Taxi-Jahren erzählt er. Dass er noch gut zurecht komme, weil er keine Familie zu versorgen habe. Aber bei vielen Kollegen lägen die Nerven blank. Er sagt, dass natürlich die meisten okay sind, aber das mit den Prügeleien am Wartestand stimme wirklich. Wenn einer, nach sechs Stunden, endlich ganz vorne in der Schlange den großen Stich vor Augen, dann doch nur ins nächste Dorf im Moos fahren soll, aber nicht will, und den Fahrgast blöd anmacht oder sich dumm stellt: Das Dorf kenn ich nicht. Dann werden die Kollegen hinter ihm wütend, sagt Flint, ¸¸weil sie noch Fahrer-Ethos haben, oder weil sie selbst die Arschkarte fürchten". Neulich sei ein Fahrgast, der nur nach Freising wollte, ganz überrascht gewesen: Sie schimpfen ja gar nicht.

Ein paar Taxis rücken wieder auf, Abgasschwaden ziehen herüber. Immer wieder, sagt Flint, beobachte er Kollegen, die sich von ihren Umwegen erzählten. Für eine Route habe sich gar der Begriff ¸¸Ungarn-Schleife" eingebürgert. Vor Jahren seien ein paar pfiffige ungarische Kollegen darauf gekommen, dass sie, statt direkt über die A 9 in die Stadt zu fahren, eine Ecke über die A 92 und A 99 ausfahren könnten. ¸¸Das sind zehn Euro mehr", sagt Flint. Dem Fahrgast begründe man den Umweg mit dem Dauerstau auf der A 9. Er kenne sogar Kollegen, sagt Flint, die sich eine Stau-Meldung aus dem Radio auf Band aufgenommen hätten und sie bei Bedarf abspielten.

Am Ende des Streifzugs, nach vielen Gesprächen an Standplätzen, verfestigt sich das Bild eines tief in der Krise steckenden Gewerbes, dessen Qualität abnimmt. Ein Fahrer erzählt, dass ihn mal in der Augustenstraße ein Kollege nach dem Weg zur Oper gefragt habe - ein Münchner Kollege. Und immer wieder hört man von einem ¸¸offenen Geheimnis" der Branche: Dass Hotel-Portiers ihren Spezln lukrative Langfahrten zuschanzten - gegen Provision. Frank Flint blinzelt in die Sonne. Ja, das stimme mit dem schlechten Image der Taxler. ¸¸Die Taxler ohne Bildung, ohne Anstand, ohne Kultur werden immer mehr. Wir gelten als der Bodensatz der Gesellschaft."

© SZ vom 2.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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