Studentenproteste in München:Rebellion an der Uni

"Sollen wir abstimmen, ob wir abstimmen sollen?" Die Münchner Studenten diskutieren bis tief in die Nacht in der besetzten Aula.

H. Kinadeter und F. Fuchs

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"Sollen wir abstimmen, ob wir abstimmen sollen?" Die Münchner Studenten diskutieren bis tief in die Nacht in der besetzten Aula.Fast hätte es jetzt Ärger gegeben in der Volksküche: Hinten steht Werner und rührt in einem Kessel 60 Portionen Linseneintopf, vorne im Stuhlkreis regt sich einer der Studenten auf, dass das Geschirr auch nach dem Abspülen noch dreckig ist. "Wir haben wichtigere Probleme", sagt ein anderer und beendet die Diskussion. Denn eigentlich geht es hier in einem Zimmer der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) gerade darum, wie man jene Hunderte von Kommilitonen versorgt, die das Audimax besetzen...Text: Hanni Kinadeter und Florian Fuchs Fotos: Robert Haas

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Es gibt zu wenige Gaskocher und nicht genug "Küchenzeugs". Im Regal steht die H-Milch über dem Gewürzketchup, im Fach daneben liegt Zahnpasta. Die ist auch nötig...

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Im Audimax nebenan werden in dieser Nacht zum Samstag etwa 70 Studenten übernachten, mit Schlafsack und Isomatten. Der Münchner Studentenprotest hat sich verlagert, von der Kunstakademie mitten ins Herz der LMU. Im größten Hörsaal der Uni sitzen in der Nacht von Donnerstag auf Freitag bis 1.30 Uhr morgens etwa 600 Studenten und diskutieren."Wir werden jeden Tag mehr", sagt Julia an den Infotischen in der Aula. Wer nicht übernachtet, kommt morgens wieder. Das bringt nicht nur logistische Probleme für die Volksküche mit sich. Auch die Organisation des Protests wird schwieriger.

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"Sollen wir abstimmen, ob wir abstimmen sollen?", ruft Moderatorin Paula vorne am Katheder ins Mikrofon. Es ist ein wenig mühselig, die Diskussionen drehen sich im Kreis, es geht nicht immer nur um Bildung und Reformen: Gerade streitet man sich, welche Plakate an den Balustraden aufgehängt werden sollen. Darf da neben Schlagworten wie "Bildung für alle" auch Kapitalismuskritik stehen? "Eines unserer ewigen Themen, das haben wir gestern Abend schon diskutiert", sagt Muriel leicht genervt, er betreut die Journalisten.

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Die Studenten haben sich in Arbeitsgruppen organisiert, die einen sind für die Vernetzung zuständig, die anderen kümmern sich ums Essen, die größte Gruppe bildet die "AG Inhalte": 50 Leute haben sich tagsüber die Köpfe heiß geredet, was im Bildungssystem alles besser gemacht werden müsste. Im Plenum, es tagt einmal morgens und einmal abends bis in die Nacht hinein, sollen dann Beschlüsse gefasst werden.Viele Ergebnisse kommen nicht zustande an diesem Abend, es ist teilweise chaotisch. Mit der Hand in der Luft zu wedeln, bedeutet Zustimmung, oft formen die Studenten mit den Händen ein Viereck: Nicht vom Thema abkommen. "Wir haben noch nicht so viel Erfahrung in Selbstorganisation", sagt Toni draußen am Infotisch. Trotzdem gibt es schon ein Positionspapier, es wird ständig aktualisiert: Darin fordern die Studenten die Abschaffung der Studiengebühren, eine Reform der Bologna-Reform und überhaupt bessere Bedingungen an den Universitäten.

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Genug Stoff zum Diskutieren also, auch bis in die Nacht hinein. Marina zum Beispiel hat um sechs Uhr morgens immer noch kein Auge zugetan: "Ich bin fix und fertig, ich habe seit drei Tagen das gleiche Sweatshirt an." Viele Studenten sind schon wach, andere liegen noch oben auf der Balustrade auf dem Boden, eingerollt in ihre Schlafsäcke. Physikstudent Leo hat gerade die Augen aufgeschlagen, seine dunkelblonden Haare sind noch ganz verstrubbelt, er streckt sich und gähnt. "Ich habe höchstens zweieinhalb Stunden geschlafen, auf den Stühlen hier in den Sitzreihen. Bequem war das nicht", erzählt er. Ob er die nächsten Tage nochmal im Audimax übernachtet? "Auf jeden Fall", sagt Leo.

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Es ist dieser Enthusiasmus, der Pressesprecher Muriel hoffen lässt. Er hat keine Sorge, dass der Protest bald wieder einschlafen könnte, dass die Studenten zu Hause bleiben, wenn sie des Feierns und Diskutierens überdrüssig sind oder die Politiker nicht auf ihre Forderungen reagieren. "Wir können hier auch monatelang durchhalten."

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Das nächste Etappenziel ist erst einmal die für Dienstag geplante Großdemonstration. Was aber, wenn die Hochschulleitung es sich anders überlegt und den Protest im Audimax nicht mehr duldet? "Dann muss das Plenum entscheiden, was passiert." Muriel betont, dass die Studenten friedlich bleiben, dass sie auf einem "akademischen Niveau" protestieren wollen. Vandalismus, Graffitis an den Wänden, das soll es nicht geben. In der Aula stehen die Statuen von König Ludwig I. und Prinzregent Luitpold. Der eine trägt einen Papierhut auf dem Kopf, der andere hält eine Rotweinflasche in der Hand.Text: Hanni Kinadeter und Florian Fuchs Fotos: Robert Haas(SZ vom 14.11.2009)

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