Strongman Cup:Der Charme der reinen Muskelmasse

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Starke Männer ziehen Lastwagen, tragen Eisenkoffer und reißen 350 Kilo in die Höhe - Eindrücke von einem Wettbewerb echter Helden.

Von Christian Mayer

(SZ vom 25.08.2003) — Reinhard Sauter liegt fast am Boden. Nicht aus Schwäche - der 135-Kilo-Kraftprotz, zwanzigfacher Landesmeister im Gewichtheben und amtierender Weltrekordinhaber in der interessanten Disziplin des Fernsehapparat-Fronthaltens, muss einfach seine Muskelpracht in die Horizontale werfen, um den 30-Tonnen-Lastwagen ins Rollen zu bringen.

Sein blonder Bart vibriert, der Rücken krümmt sich, und manche Zuschauer auf dem Parkplatz der Kultfabrik geraten vor Anspannung ins Schwitzen. Nicht mal eine Minute braucht er, dann hat Sauter den 30-Tonner über die Ziellinie gewuchtet. Wie in Trance richtet er sich langsam auf, ein müder Triumphator.

Warum tut man sich so was an? Warum rennt einer freiwillig mit zwei 110 Kilo schweren Eisenkoffern herum? Wie kommt man auf die Idee, zur Erbauung von ein paar Dutzend Zuschauern und im steten Blickkontakt mit den Kameraleuten eines Spartensenders einen 350 Kilo schweren Monster-Reifen seitlich so lange aufzurichten und umzudrehen, bis das Ding mit Karacho über die Ziellinie kracht?

Man sollte vielleicht nicht zu viele Fragen stellen beim ersten Münchner Strongman-Wettbewerb, sondern einfach nur die Bilder der schuftenden Kerle auf sich wirken lassen.

Der Urschrei

Andi Hofmann zum Beispiel, mit 160 Kilo der gewichtigste unter den Kollegen: Wenn der glatzköpfige Mann beim "Bavarian Lift" 350 Kilo einen halben Meter in die Höhe reißt, verformen sich die Tattoos am Oberarm zu bizarren Mustern. Ein Urschrei, ein Stöhnen, und es ist vollbracht.

Hinterher sitzt Hofmann allerdings etwas gepeinigt auf der Bierbank, verspeist eine Banane und erzählt mit sanfter Stimme, dass er bald neben Gerhard Polt im Germanicus-Film ins Kino kommt - als Oberhaupt eines wilden, aber eher pazifistisch eingestellten Kraftmeier-Stammes.

Die beiden Münchnerinnen Anja, 28, und Sonja, 26, sind nur wegen Knut hier. Knut Handke, thüringischer Steinhebemeister, ist für Anja der "Appetitlichste" unter den Recken. "Er ist ein ganz lieber und sehr sozial eingestellter Typ. Wir haben ihn und seine Familie beim Kroatien-Urlaub kennen gelernt", erzählt sie.

Starke Männer mit Hebelwirkung mag sie, "ich könnt' nie mit einem dürren Hemd zusammen sein", sagt Anja. Die aufgepumpten Schwerarbeiter sind ihr zwar eine Nummer zu groß. Trotzdem geht ein merkwürdiger Charme von den Muskelpaketen aus, die auf einmal sehr verletzlich aussehen, wenn sie etwa von zu vielen Pfund schier erdrückt werden und sich von ihren Frauen hinter den Kulissen trösten lassen müssen.

Es ist der Charme der reinen Muskelmasse, der das weibliche Publikum leicht schaudern lässt und die männlichen Zuschauer zu schwärmerischen Kommentaren über die Leidensfähigkeit veranlasst. "Gewichtheben wird erst richtig geil, wenn's weh tut", sagt Markus, 22, der täglich im Fitness-Studio an der Vervollkommnung seiner Figur arbeitet.

"Bei dem Oberkörper kannst' sogar den jungen Schwarzenegger vergessen", ergänzt René, der selbst einen beachtlichen Bizeps vorzuweisen hat und nun etwas neidisch verfolgt, wie Heinz Ollesch beim Walzen-Wuchten die anderen überbietet. Der Landwirt ist gegenüber der Konkurrenz im Vorteil: Schließlich verfügt er auf seinem Bauernhof über eine Vielzahl von Folterwerkzeugen.

Am Ende des sechsteiligen Wettbewerbs, als einige Konkurrenten längst in die Knie gegangen sind, reckt der starke Heinz, der vor langer Zeit mal mit dem Fingerhakeln angefangen hat, die Fäuste in den Abendhimmel: Er ist am Ziel, unendlich müde und glücklich.

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