Streit um "Schweine-Journalismus":Schwarzer Tag für "Bild"

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Das Blatt soll an eine Münchnerin Schmerzensgeld zahlen und erringt gegen den "Stern" einen Pyrrhus-Sieg. Dabei geht es um die Kult-Moderatorin Charlotte Roche.

Ekkehard Müller-Jentsch

Bild dir deine Meinung", wirbt die Bildzeitung. Die Richter der Pressekammer beim Landgericht München I haben genau das gestern in zwei Fällen getan - es wurde ein rabenschwarzer Tag für das Boulevardblatt.

In einem Fall hat jene Frau auf Schadenersatz und Schmerzensgeld geklagt, der die Gazette die Schlagzeile "Münchnerin heiratete diesen eiskalten Killer" gewidmet hatte. Da die Frau in dem Artikel mit ihrem ungewöhnlichen Vornamen, Beruf und Wohnviertel bezeichnet worden war, erkannten sie die Kollegen sofort. "Sind das nicht Sie"?, fragte als erste am Arbeitsplatz die Putzfrau mit der Bild in der Hand.

Psychologische Betreuung nötig

Für die Betroffene begann damit ein Leidensweg, der seither dauernde psychologische Betreuung notwendig macht, der aber auch ins berufliche Aus zu führen droht. Ihr Anwalt Marc Heinkelein, ein erfahrener Medienjurist, sagt dazu: "Ich kann nicht verstehen, warum Bild mit einem Artikel so gnadenlos in die Persönlichkeitsrechte eines Menschen eingreift."

Hintergrund der Schlagzeile: Mehr als elf Jahre nach der Ermordung eines 17-jährigen Mädchens in Berlin war der mutmaßliche Mörder auf dem Münchner Flughafen festgenommen worden. Der Türke war von Zielfahndern gestellt worden, nachdem er gerade mit einer Maschine aus Istanbul gelandet war. Ihm wurde zur Last gelegt, im Januar 1994 aus Eifersucht in Berlin eine Ex-Freundin besonders grausam umgebracht zu haben. Nach Erkenntnissen der Polizei hatte sich der Beschuldigte gleich nach der Tat in die Türkei abgesetzt.

Jetzt, Jahre später, wollte der Mann in München seine deutsche Lebensgefährtin aufsuchen, die ihn einige Zeit zuvor völlig ahnungslos in der Türkei geheiratet hatte. In dem Bild-Artikel wurde die Frau deshalb als jemand dargestellt, der "noch mal einen zehn Jahre jüngeren Mann abgreifen" wollte. Sie schilderte, dass Reporter ihr im Hausflur aufgelauert und an der Wohnung Sturm geläutet hätten, so dass sie gar die Polizei rufen musste.

Die Richter der 9. Kammer machten gestern keinen Hehl daraus, dass sie der Klägerin auf jeden Fall Schmerzensgeld zusprechen werden - und zwar mindestens 50 000 Euro, doppelt so viel, wie bisher gefordert. Denn der Betrag sei nicht nur als Genugtuung für die Betroffene zu verstehen, sondern auch als Prävention: Das Blatt habe mit seiner Berichterstattung "ohne Not jemanden individualisierbar gemacht" und obendrein beleidigt - "Medien sollen davon abgehalten werden, so etwas zu tun".

"Wenn jemand einen Tiefschlag erhalten hat und dann noch eins übergebraten bekommt, ist das besonders gemein", sagte der Vorsitzende Thomas Steiner. Die Pressekammer legte Bild-Anwalt Kai Fickert nahe, die Chefredaktion zur freiwilligen Schmerzensgeldzahlung zu bewegen. Denn je länger man über den Fall nachdenke, desto teurer werde es: Der Betrag könne sich - "je nach Verhalten von Bild" - noch erhöhen. Bis Mitte Januar wurden den Parteien Bedenkzeit eingeräumt.

Prominente erpresst?

Den zweiten Fall hat Bild formal gewonnen, doch das ist bloß ein Pyrrhus-Sieg. Wie berichtet, hatte der Stern Bild vorgeworfen, Prominente zu erpressen und dazu die Fernseh-Popmoderatorin Charlotte Roche zitiert, die sich nach einer Familientragödie von Bild-Reportern verfolgt fühlte.

Nun stellte die Pressekammer zwar fest, dass die Illustrierte nicht mehr behaupten dürfe, dass es sich tatsächlich um Bild-Mitarbeiter gehandelt habe. Das sei nämlich nicht bewiesen, könnte Bild also verächtlich machen: Würde es doch "schmierigsten Journalismus auf der untersten Stufe journalistischen Wirkens darstellen".

Der Stern dürfe jedoch schreiben, dass alle Reporter, Anrufer und der "Abschuss-Fotograf" sich als Bild-Mitarbeiter ausgegeben haben. Zwar sei "eher fernliegend", dass ausschließlich Trittbrettfahrer aufgetreten sein sollen, es stehe dem Stern aber frei, hieraus wertende Schlüsse zu ziehen. "Journalistisch geschickt aufbereitet mag dies für die Klägerin ein weitaus verheerenderes Echo haben als die bislang streitgegenständliche Berichterstattung", meinen die Richter (Az.: 9 O 11367/06).

© SZ vom 23.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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