Streifenwagen erfasst Motorroller:Blaulicht-Fahrt mit schrecklichen Folgen

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Das Oberlandesgericht sieht eine Mitschuld des Polizisten. 64-Jähriger liegt seit vier Jahren im Wachkoma - der Freistaat muss ihm 80.000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Die Polizeibeamten wollten in ihrem Streifenwagen möglichst rasch mit Blaulicht und Tatütata zu einem Verkehrsunfall fahren. Der Rentner Johann S. dagegen tuckerte auf seinem Motorroller mit dem Dackel auf dem Gepäckträger nach Hause.

An der Kreuzung Bajuwaren-/Himalayastraße in der Gartenstadt Trudering trafen sie ungebremst aufeinander. Das war vor vier Jahren. Seither liegt der heute 64-jährige S. im Wachkoma. Jetzt wurde die Polizei dazu verurteilt, 25.250 Euro Schadenersatz und 80.000 Euro Schmerzensgeld an den Rentner zu bezahlen. Nach Meinung des Oberlandesgerichts München haben aber beide Parteien zur selben Zeit das Falsche getan und müssen sich daher die Schuld teilen.

Einfacher Verkehrsunfall

Unbestritten war der Einsatzwagen mit Sondersignalen auf einer Vorfahrtsstraße unterwegs. Nach Ansicht von Kläger-Anwalt Wolfgang Köhle hatte das Polizeiauto Tempo 90 drauf, der Gutachter meinte, es sei wenigstens 60 bis 70 Stundenkilometer schnell gewesen. Am Steuer saß ein Polizist, neben ihm eine junge Beamtin. Sie wollten zu einem einfachen Verkehrsunfall in der Wasserburger Landstraße.

Unbestritten ist auch, dass Johann S. dem Streifenwagen nicht "sofort freie Bahn verschafft" hat. Vielmehr hatte er den Wagen wahrscheinlich wegen eines geparkten, die Sicht versperrenden Lieferwagens nicht bemerkt, das Sondersignal unter seinem Motorradhelm irgendwie überhört und war unsicher und langsam in die Kreuzung eingefahren.

Der Polizist, der nicht schneller als 60 bis 70 km/h schnell gewesen sein will, riss das Steuer nach links und erwischte - aus seiner Sicht - den Motorrollerfahrer bereits auf der Gegenfahrbahn. Der Gutachter meinte später, der Beamte hätte unter diesen Umständen erstens noch bremsen und den Zusammenprall damit zumindest mildern, und zweitens dem Zweiradfahrer sogar rechts ausweichen können. Die Polizei, beziehungsweise der beklagte Freistaat, versuchten in dem Prozess jegliche Mitschuld der Streifenwagenbesatzung abzustreiten.

Falsche Reaktion

Nach Meinung des 10.Zivilsenats überwiegt die Vorfahrtsverletzung des Rentners die falsche Reaktion des Streifenpolizisten. Jedoch gehe von dem Polizeifahrzeug gegenüber dem kleinen Motorroller eine "höhere Betriebsgefahr" und damit eine erhöhte Haftung aus. Die Richter geben dem Rentner zwei Drittel der Schuld und sehen die Polizei zu 40 Prozent in der Haftung.

Daher halten sie neben 25250 Euro Schadenersatz 80.000 Euro Schmerzensgeld für angemessen. Der 64-Jährige habe zwar "nicht mehr wie ein junger Mensch sein ganzes Leben noch vor sich", er sei jedoch durch die schwere Kopfverletzung für immer ein Pflegefall, wenn auch nicht mehr empfindungsfähig. Dass die langjährige Lebensgefährtin von Johann S. aus dem kleinen Häuschen des Rentners ausziehen müsse, damit dieses "zur Schadenminderung" nun vermietet oder verkauft werden könne, hielt das Gericht aber für unzumutbar (Az.:10U5381/02).

Johann S. weiß von all dem nichts - er wird nach ärztlichem Ermessen nie mehr aufwachen.

© SZ v. 11.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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