Stadiondebatte:Kein Hexenkesseltreiben

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Die Lösung für das Olympiastadion

Julian Nida-Rümelin

(SZ vom 13.12.2000) - Das Münchner Stadtrats-Hearing zum Olympiastadion in der vergangenen Woche mag eine "Stunde des Zorns" gewesen sein, jetzt schlägt die "Stunde der Wahrheit". Architekten und Denkmalschützer haben sich mit guten Argumenten gegen eine Zerstörung des Olympiastadions gewehrt. Uwe Kiessler, Professor für Bautechnik und Baukonstruktion, hat in beeindruckender Präzision und Nüchternheit diesen Standpunkt mit wenigen Bemerkungen so überzeugend dargestellt, dass man gespannt war, was das Architekturbüro Behnisch, vertreten durch Professor Manfred Sabatke, zur Entkräftung vortragen würde. Nichts wurde zur Entkräftung vorgetragen. Die zusammenfassende Bewertung Kiesslers, das Konsensmodell sei "Murks", kann seit dem 6. Dezember als neuer Konsens gelten.

Jetzt, nachdem das Konsensmodell im Konsens gestorben ist, wird sich weisen, wer für sich in Anspruch nehmen kann, wirklich "Denkmalschützer" (ein irreführender Begriff) zu sein. Es geht um die Bewahrung kultureller Substanz, nicht um Bauhüllen-Konservierung. Allzu oft ist Denkmalschutz nichts anderes als die Bewahrung einer baulichen Hülle, zweckentfremdet und sinnentleert. Adolf von Hildebrand baute Ende des 19. Jahrhunderts - beauftragt, den Wittelsbacher Brunnen am Münchner Lenbachplatz zu gestalten - ein Künstlerhaus für sich, seine Gehilfen, seine Kinder, zum Leben und Arbeiten. Dieses Haus blieb über alle Umbrüche hinweg Künstlerhaus bis Ende der 60er Jahre. Dann sollte es abgerissen werden. Das Bayerische Denkmalschutzgesetz rettete es - als bauliche Hülle, aber nicht als Künstlerhaus. Heute ist es ein Schmuckstück des Münchner Bibliothekwesens; immerhin das und kein Bürohaus wie geplant. Aber die kulturelle Substanz ist verloren.

Ich bin oft gefragt worden, warum ich mich als Philosoph kulturpolitisch engagiere - hier liegt die Antwort: Die Kindheits- und Jugenderfahrung mit der Zerstörung kultureller Substanz und künstlerischer Existenzen. Bauhüllen-Konservierung ist eine Schrumpfform des Denkmalschutzes: Besser als nichts, aber weniger als erforderlich, um die kulturelle Substanz einer Stadt zu bewahren.

Viele der Architekten und Denkmalschützer, die sich in den vergangenen Monaten um den Erhalt des Olympiastadions verdient gemacht haben, befürworten den Bau eines reinen Fußballstadions, eines Hexenkessels, unmittelbar neben dem alten Olympia-Stadion, am Standort des heutigen Radstadions. Auf den ersten Blick eine faszinierende Idee, denn das Radstadion erfüllt seinen ursprünglichen Zweck nicht mehr, und dessen neue Nutzung für "Olympic-Spirit" hat die Stadt in große finanzielle Schwierigkeiten gebracht hat. Die Fußballfreunde wären weiterhin Besucher des Olympiaparks, und immerhin macht das rund die Hälfte aller Besucher aus.

Schönheit und Gelassenheit

Das besondere Faszinosum dieses Vorschlags ist, dass er Fußballfans und Denkmalschützer verbündet: Die einen bekommen den erwünschten Hexenkessel, die anderen dürfen ihr Olympiastadion unverändert behalten. Die Gäste aus aller Welt können weiterhin eines der bedeutendsten Architekturdenkmäler der Nachkriegszeit in Deutschland so bewundern, wie sie es 1972 bei den Olympischen Spielen getan haben. Könnten wir damit nicht alle zufrieden sein?

Die Realisierung dieser Idee, geboren aus dem taktischen Bündnis der Denkmalschützer und Fußballfans, würde die kulturelle Substanz des Olympiaparks, einschließlich seines Stadions, schwer beschädigen. Es geht nicht um einen Umbau des Radstadions, sondern es geht um den Neubau eines Fußball-Hexenkessels mit einer Höhe von mindestens 48 Metern, möglicherweise bis zu 60 Metern, und einem Umfang, der nur unerheblich kleiner ist als der des jetzigen Olympiastadions. Und es geht um eine grundlegende Veränderung der Gravitation: Während heute das Stadion den Mittelpunkt einer wunderbar gestalteten Landschaft aus Zeltdach, Hügeln und Gebäuden bildet, würde der Neubau des gigantischen Kolosses, der sich ästhetisch in keiner Weise integrieren lässt, das Gravitationszentrum des ganzen Parkes zum neuen Fußballstadion verschieben. Im Mittelpunkt stünde nicht nur ein Fußballstadion, sondern ein Erlebniszentrum mit allen technischen Finessen, mit der äußerlichen Brutalität solcher Stadien und der Faszination andauernden Entertainments. Das Olympiastadion würde zur Peripherie degradiert.

Die bauliche Hülle bliebe zwar erhalten - und mit ihr die Erinnerung an die Olympischen Spiele 1972, die so wunderbar leicht begonnen und so grausig geendet hatten, und die Erinnerung der Fußballfans an große Spiele Münchner Bundesligavereine und ihrer jeweiligen Opponenten in einem Stadion, das über viele Jahre guten Fußball und hohe Besucherzahlen ermöglichte. Doch auch gelegentliche Open-Air-Veranstaltungen könnten nicht verbergen, dass die modernen Zeiten an dem Stadion vorübergegangen sind. Der Kontrast zu dem hypermodernen gewaltigen Klotz unmittelbar neben dem Olympiastadion würde es allen überdeutlich vor Augen führen: Dieses Stadion ist zum Bau-Denkmal geworden - im schlechten Sinne; ein überdimensioniertes Museumsstück im öffentlichen Außenraum.

Das Konsensmodell und alle ähnlichen Modelle sind, wie gesagt, seit dem 6. Dezember endgültig dahin. Von Wiederbelebungsversuchen muss dringend abgeraten werden. Jetzt gilt es, den zweiten Angriff auf den Olympiapark abzuwehren, die kulturelle Substanz dieses einmaligen Ensembles zu retten.

Das Olympiastadion muss als Fußball-, Leichtathletik- und Kultur-Arena bewahrt werden. Dass das möglich ist, zeigt der Entwurf eines so genannten WM-gerechten Umbaus von 1998. Auch die kritischen Architekten und Denkmalschützer scheinen der Auffassung zu sein, dass dieser Umbau akzeptiert werden kann. Anders als die zuletzt als Konsensmodell vorgelegte Ring-Variante bleibt die landschaftliche Einbettung bestehen. Das Dach wird nicht zu einem funktionslosen Dekorum und das Stadion nicht mono-funktional auf Fußball reduziert. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass es weitere Möglichkeiten eines Umbaus nach den Richtlinien der FIFA gibt, die Ästhetik und Funktionalität noch besser miteinander verknüpfen. Selbst die schon für 1972 erwogene Idee eines Zeltdachs über den Osträngen, für das schon die Fundamente gesetzt sind, sollte einer gründlichen Prüfung unterzogen werden. Uwe Kiessler brachte zudem das Modell einer variablen Überdachung ins Spiel, dessen technische Realisierbarkeit allerdings umstritten blieb.

Richtig verstandener Denkmalschutz muss fordern: "Bewahrt das einmalige Olympia-Ensemble vor brutalen, die Ästhetik, die Gravitation und die Funktionalität zerstörenden Eingriffen, lasst nicht nur das Konsensmodell, sondern auch das Modell Hexenkessel am Standort Radstadion fallen, bewahrt den Olympiapark in seiner kulturellen Substanz und das Stadion in seiner Schönheit und seiner Zweckbestimmung."

Aber wo bleibt dann der von Denkmalschützern und Fußballfans gleichermaßen gewünschte Hexenkessel? Er wird nicht gebaut; jedenfalls nicht im Olympiapark und nicht mit städtischen Mitteln. Und das ist gut so. Warum sollte die Stadt an einer Einrichtung mitwirken, die nicht nur die fein austarierten Dimensionen des Olympiageländes sprengt, sondern deren aggressionsfördernde Wirkung Programm ist? Eine Wirkung, die Kultur- und Sozialreferat dann mit Projekten für gewaltbereite Jugendliche wieder einzufangen haben? Umgekehrt wird ein Schuh draus: Die gleichermaßen sport- wie kulturbegeisterte Stadt bietet Fußball in einem faszinierend gestalteten harmonischen Ensemble aus Landschaft, Stadion und Zelt - Fußball in einem der bedeutendsten Kulturdenkmäler Deutschlands, funktional angemessen (FIFA-Richtlinien sind erfüllt, WM-Spiele gesichert) und in einer Atmosphäre von Schönheit und münchnerischer Gelassenheit.

Der Verfasser ist Kulturreferent der Landeshauptstadt München; er wechselt Anfang des kommenden Jahres als Kulturstaatsminister ins Bundeskanzleramt.

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