Staat muss Häftling 300.000 Euro zahlen:Zu Unrecht wegen Vergewaltigung in U-Haft

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Weil er acht Monate im Gefängnis saß und seinen Job verlor, spricht das Gericht einem Betriebsschlosser Geld bis zur Pension zu.

Ekkehard Müller-Jentsch

Rund 300.000 Euro Schadenersatz muss der Freistaat an einen ehemaligen Betriebsschlosser des Münchner Nutzfahrzeugherstellers MAN bezahlen. Der Mann hatte, wie sich später herausstellte, zu Unrecht wegen angeblicher Vergewaltigung in U-Haft gesessen, und war währenddessen von seinem Arbeitgeber gefeuert worden.

(Foto: Foto: dpa)

Da ein Mitfünfziger in seiner Branche keine Chance mehr hat, eine Anstellung zu finden, stellte das Landgericht MünchenI am Mittwoch fest, dass ihm nun der Staat bis zum Rentenalter Monat für Monat sein Gehalt überweisen müsse. Ob der Freistaat gegen das Urteil Berufung einlegen wird, ist noch offen.

Seit 1995 war der Handwerker bei dem Nutzfahrzeughersteller MAN angestellt. Im Jahr 2002 hatte ihn eine Nachbarin bei der Polizei angezeigt: Er habe sie vergewaltigt, behauptete sie damals.

Erst viel später stellte sich heraus, dass die alkoholkranke und verwirrte Frau alles nur erfunden und damit einen Unschuldigen bezichtigt hatte. Der Schlosser war nach der Anzeige im Dezember 2002 am Arbeitsplatz festgenommen worden. Obwohl er stets beschworen hatte, der Frau kein Leid angetan zu haben, wurden seine Haftbeschwerden verworfen.

Nachdem der Mann mehr als zwei Monate hinter Gittern verbracht und die Justiz seinen Beteuerungen keinen Glauben geschenkt hatte, sprach die Firma eine ordentliche Kündigung aus. Der Schlosser klagte dagegen zwar vor dem Arbeitsgericht. Da sich aber sein Kampf um den Job als aussichtslos erwies, ließ er sich schließlich auf eine Abfindung von 10.000 Euro ein.

Als der Schlosser nach insgesamt acht Monaten U-Haft endlich wieder in die Freiheit entlassen wurde, bewarb er sich umgehend erneut bei der MAN. Doch sein früherer Chef konnte jetzt nur noch mit den Achseln zucken: Der alte Arbeitsplatz war Umstrukturierungsmaßnahmen zum Opfer gefallen, und seine früheren Kollegen jobten nun an anderen Werkbänken. Für den Entlassenen gab es keinen Platz mehr.

Auch die Bemühungen des Mannes um eine andere Stelle hatten keinen Erfolg. Das Arbeitsamt bescheinigte ihm 2004 schließlich, dass ein über 50 Jahre alter Schlosser keine realistische Aussicht habe, eine Anstellung zu finden.

So klagte der Mann gegen den Freistaat auf Schadenersatz. Zum Zeitpunkt seiner Inhaftierung hatte er 2955,12 Euro Bruttogehalt bezogen. Bis zu seiner Rente wolle er nun sein Geld vom Staat bekommen.

Der Freistaat lehnte das ab: Ein Betriebsschlosser könne kaum länger als bis zu seinem 58. Lebensjahr arbeiten, verlautbarten die Anwälte des Staates in der Verhandlung.

Die 9. Zivilkammer gab aber dem Kläger Recht. Die Richter zogen für die vergangenen Jahre diverse Posten ab, etwa Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungsbeiträge des Arbeitgebers - das sei während seiner Arbeitslosigkeit mitversichert gewesen, und sprachen ihm für diese Zeit rund 64.000 Euro zu.

Darüber hinaus muss ihm die Staatskasse bis 2016 monatlich 3361,03 Euro als "Schadenersatz für die Zukunft" erstatten - das entspreche dem heutigen Bruttolohn des Schlossers einschließlich der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung.

Natürlich müsse der Mann von diesem Geld Steuern und Abgaben abführen, wie jeder normale Arbeitnehmer. In seiner Urteilsbegründung deutete das Gericht an, dass die Schadenersatzsumme noch erheblich höher gewesen wäre, wenn der Anwalt des Schlossers nicht formale Fehler begangen hätte.

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