Surfer an der Reichenbachbrücke:Kampf um die Welle

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Nach der Debatte um den Eisbach bangen Münchens Surfer nun um das Hochwasser-Spektakel an der Reichenbachbrücke. Die wilde Seite der Stadt ist in Gefahr.

Marc Baumann

Surfer, die um eine Welle kämpfen und Unterschriften sammeln? Das kommt einem bekannt vor. Doch diesmal geht es nicht mehr wie im Jahr 2009 um den Eisbach. Jetzt geht es ihnen um eine größere Welle - und die Surfer haben eigentlich schon verloren.

Nur wenige wagen es, bei Hochwasser die Reichenbachwelle zu reiten. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Trotzdem bitten die Initiatoren der Webseite www.rettet-die-reichenbachwelle.de um ein Treffen, abends an der Prinzregentenstraße, an der Eisbachwelle. Es regnet, aber die Zuschauer auf der Brücke lassen sich nicht vertreiben, es ist Oktoberfestzeit, viele Touristen sehen zum ersten Mal Wellenreiten auf einem Fluss. Carsten Kurmis und Petra Offermanns sitzen im Trockenen, einem geparkten Lieferwagen mit Aufkleber der Münchner Firma "Buster Surfboards" darauf.

Kurmis hat lange Haare und Vollbart, Petra Offermanns trägt eine zerrissene Jeans zur Lederjacke. Genau so stellt man sich gemeinhin Surfer vor: jung und wild. Aber Kurmis und Offermanns sind beide mehr als 40 Jahre alt; bei ihrem langen Kampf für den Erhalt der Innenstadtwellen haben sie gemerkt, dass Verhandlungen sie weiter bringen können als Rebellion.

Ihre Interessengemeinschaft hat viel erreicht: Surfen am Eisbach ist seit diesem Frühjahr offiziell erlaubt, in München gibt es Surfshops, Surfbretthersteller, Wettkämpfe mit Preisgeld und einen eigenen Verein. Aber es gibt sie noch, die wilde Seite des Großstadtsurfens: das Hochwasser-Wellenreiten auf der offenen Isar. Und 2010 war ein großartiges Jahr dafür. "Wir hatten 25 surfbare Tage an der Reichenbachbrücke, so gut war es noch nie", schwärmt Carsten Kurmis. "Ich war pro Tag sieben bis acht Stunden auf dem Wasser."

Wenn der Rest des Freistaats über zu viel Regen oder überschwemmte Straßen klagt, beginnt bei Kurmis die Vorfreude: Im Internet prüft er, wann der Flusspegel 1,60 Meter überschreitet. Dann entsteht vor der Reichenbachbrücke eine Welle, die um einiges höher und fast vier Mal so breit wie der Eisbach ist. Von den rund tausend Surfern der Stadt wagen sich geschätzte 40 in die Hochwasserwellen.

Diese kleine Gruppe hat viele Freunde, fast 3000 Menschen haben die Unterschriftenaktion zum Erhalt der Reichenbachwelle unterzeichnet. Denn in diesen Tagen sollen Umbauarbeiten an der Brücke beginnen. Dort teilt sich die Isar in einen Hauptstrom, etwa 30 Meter breit, auf dem gesurft wird; daneben gibt es einen kleineren Seitenarm des Flusses. Und der soll künftig mehr Wasser tragen, damit dort ein Biotop entstehen kann.

"Wir sind für die Renaturierung, aber wenn hier Wasser abgezweigt wird, braucht der Hauptarm viel mehr Wasser, bis sich die surfbare Welle aufbaut", sagt Kurmis. Sie haben ausgerechnet, dass die Welle künftig erst ab einer Wasserhöhe von deutlich mehr als zwei Metern entstehen könnte. Ab 2,40 Meter beginnt die Hochwasser-Meldestufe 1, dann wird es ungemütlich, selbst für gute Surfer. Der Strom wird dann reißend schnell.

Die Isar kann tödlich sein. Im August ertrank ein Vater, der seinen kleinen Sohn aus dem Hochwasser retten wollte. Das Drama passierte weit entfernt von der Reichenbachbrücke, an einer gefährlichen Wasserwalze. "An der Reichenbachbrücke ist Surfern noch nie etwas passiert", sagt Kurmis. Weil viel Erfahrung, ein Surfbrett und Neoprenanzüge die Gefahr halbwegs kontrollierbar machen, wird Hochwassersurfen und -kajakfahren von der Stadt geduldet. Aber nur bis 2,40 Meter Wasserstand, darüber verbietet die Bade- und Bootsverordnung hier jeglichen Sport. Also wäre Hochwassersurfen dann legal gar nicht mehr möglich.

"Die Baumaßnahmen können wir nicht mehr stoppen", weiß Offermanns. Trotz vieler guter Gespräche mit der Stadt, trotz Unterstützern bei Grünen, SPD und CSU. Es hatte Jahre gedauert, das Surfverbot am Eisbach zu ändern, für die Reichenbachbrücke hat die Zeit nicht ausgereicht. Sie haben verloren, doch sie haben noch Hoffnung. "Oberbürgermeister Christian Ude hat bei der Premiere des Surffilms Keep surfing erklärt, er wolle eine Welle auf der offenen Isar erhalten", erzählt Offermanns.

Die Renaturierung der Isar habe bereits zwölf Wellen im Münchner Umland zerstört. Jetzt gibt es noch zwei kleinere Wellen nahe der Brudermühlbrücke - aber nur mehr die eine große, wirklich sportlich interessante und reizvolle: die an der Reichenbachbrücke. Darum kämpfen die Großstadtsurfer so um sie.

"An der Isar wird immer wieder mal etwas umgebaut, vielleicht könnte künftig an der Reichenbachbrücke einfach etwas weniger Wasser abgezweigt werden?", hofft Petra Offermanns. Sie findet, dass Hochwassersurfen wichtig ist für München. Weil es in dieser Form einmalig ist in Deutschland, und ein umweltfreundlicher Sport. Vor allem aber: eines der letzten Abenteuer in dieser Stadt.

© SZ vom 02.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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