SPD-Regionalkonferenz in München:Therapie für geschundene Sozis

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Generalsekretärin Andrea Nahles übernahm am Sonntag in München die Überzeugungsarbeit, Parteichef Sigmar Gabriel ließ sich entschuldigen. (Foto: Stephan Rumpf)

Bei der Regionalkonferenz der SPD zeichnet sich ein Ja zur großen Koalition in Berlin ab. Vorsichtshalber macht Generalsekretärin Andrea Nahles nochmal Werbung - begeistern kann die Genossen aber erst ein anderer Redner.

Von Silke Lode

Ganz rechts, in Reihe vier, sitzt eine Frau aus Landshut. Eine einfache Genossin, ohne Mandat oder Funktion. Sie ist extra nach München in den Kolpingsaal in der Nähe des Stachus gekommen. Weil sie hören will, was die SPD-Spitze zu sagen hat. Über das angestrebte Bündnis mit der Union, über den Koalitionsvertrag. "Es interessiert mich einfach", sagt sie. Und sie hat sich sogar schon entschieden: "Der Vertrag geht in Ordnung. Jetzt sollte es langsam losgehen, wir brauchen eine neue Regierung."

Das Beispiel der Frau aus Landshut ("Wie ich heiße? Das spielt doch keine Rolle . . . ") zeigt, dass sich die angeschlagene SPD wohl keine bessere Therapie hätte verordnen können als die Mitgliederbefragung über den Koalitionsvertrag. Während es der Partei vor der Wahl schwer fiel, ihre Anhänger zu mobilisieren, wird jetzt landauf, landab rege diskutiert. In München sind es die gleichen Themen wie überall: Mindestlohn, Rente, Bürgerrechte, Energiewende, Frauenquote.

Ermüdungserscheinungen sind allenfalls beim Spitzenpersonal zu spüren: SPD-Chef Sigmar Gabriel lässt sich kurzfristig entschuldigen, wegen privater Verpflichtungen. Die Genossen raunen, der Stadtvorsitzende Hans-Ulrich Pfaffmann legt nach: Gabriels Frau sei krank, er müsse sein Kind versorgen. In der ersten Reihe bleiben allerdings noch weitere Stühle leer: Die Rathaus-SPD fehlt geschlossen. Weder OB Christian Ude noch sein Wunschnachfolger Dieter Reiter, Bürgermeisterin Christine Strobl oder Fraktionschef Alexander Reissl sind gekommen.

Die Überzeugungsarbeit, die Gabriel leisten sollte, übernimmt Generalsekretärin Andrea Nahles - auch wenn sie nur eine gute Stunde Zeit hat. Offenbar fühlt die SPD-Spitze sich allmählich auf der sicheren Seite. Die bisherigen Regionalkonferenzen sind gut gelaufen, und so viel wohlwollende öffentliche Beachtung ist der Partei schon lange nicht mehr zuteil geworden.

Auch in München zeichnet sich eine Mehrheit für die Große Koalition ab, obwohl auch etliche Gegner mit differenzierten Argumenten in den Kolpingsaal gekommen sind. Daniel Jazdzewski zum Beispiel, der Vorsitzende der Schwusos in Oberbayern, der scharf kritisiert, dass die Ehe nach wie vor nicht für Lesben und Schwule geöffnet wird und sie vom Adoptionsrecht ausgeschlossen bleiben. Sein Fazit: "Es wird weiter diskriminiert."

Oder Klaus Hahnzog, einst Dritter Bürgermeister in München. Auf drei Seiten hat er handschriftlich seine Argumente zusammengetragen. "Bei Bürgerrechten, Sicherheit und Demokratie fehlt die sozialdemokratische Handschrift", sagt er. Für Hahnzog ist nicht akzeptabel, dass die SPD mit der Union die Vorratsdatenspeicherung fortsetzen und die Geheimdienste stärken will, aber keine Volksentscheide auf Bundesebene plant.

Andere Genossen kritisieren, dass beim Mindestlohn Lücken bleiben oder bemängeln energiepolitische Pläne, die im Süden neue Windkraftanlagen verhindern.

Argumentationshilfe von Willy Brandt

Andrea Nahles bestreitet nicht, dass die SPD nicht alle ihre Ziele erreicht hat. Bei der Vermögenssteuer zum Beispiel, oder beim Adoptionsrecht. Das sei schlicht den Kräfteverhältnissen zwischen Union und SPD geschuldet. Dann holt sie Willy Brandt zur Hilfe. "Das Wesen der Demokratie ist der Kompromiss", zitiert Nahles. Und bekommt Applaus für die Feststellung, der Koalitionsvertrag sei "ein guter Kompromiss und an einigen Stellen mehr".

Wie sehr die Genossen die legendären Persönlichkeiten ihrer Partei lieben und würdigen, zeigt der spontane Auftritt von Hans-Jochen Vogel. "Ich habe keine Einladung bekommen, bin aber trotzdem da", sagt Vogel. Er hänge eben nicht am Internet. Doch schon als Vogel leicht verspätet den Saal betritt, brandet lauter Applaus auf. Und als Nahles zeitig gehen muss und die Enttäuschung doch spürbar ist, erteilt Claudia Tausend, die frisch gewählte Bundestagsabgeordnete und Moderatorin der Debatte, kurzerhand dem besten Fürsprecher einer Großen Koalition das Wort, den die SPD in dieser Stadt aufbringen kann.

Mit einer Leidenschaft, von der Nahles - wäre sie noch da - lernen könnte, wirbt Vogel für das Bündnis mit der Union. Spätestens als der Alt-Oberbürgermeister und langjährige Bundesminister schildert, wie die Jugendarbeitslosigkeit in Europa ihn jeden Tag beschäftigt und dann an die gut 300 Genossen die Frage richtet: "Glaubt ihr wirklich, dass wir aus der Opposition mehr tun können?" - da scheint das Ja zur Regierungsbeteiligung zum Greifen nah.

© SZ vom 09.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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