Selbstversuch:Verhüllungskünstler auf der Pirsch

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Lohengrin, Turandot oder Aida? Beim Kostümverkauf der Bayerischen Staatsoper sind alle auf der Suche nach einer passenden Rolle.

Von Lisa Sonnabend

Ein Ritter stolziert mit wehender Fahne an bunten Kostümen vorbei, zwei Frauen - schön wie Königinnen in ihren elegantesten Gewändern - halten ein Schwätzchen. Und was war das? Ein Clown hüpft in gelben Hosen und Kapuze durch den Raum, verschwindet zwischen schillernden Stoffen. In Jeans und Pullover fühle ich mich hier beinahe deplaziert - doch das soll sich ändern.

Das ist es: mein neues Faschingskostüm aus der Oper Aida. (Foto: Foto: Simon)

Auf Faschingsfeiern oder Mottopartys hatte ich nie die passende Verkleidung. Eine Freundin weiß Rat: Der Kostümverkauf der Bayerischen Staatsoper in München, der nur alle zwei Jahre stattfindet und bei dem man die tollsten Abendkleider und Faschingskostüme ergattern könne.

Seit Tagen träume ich nun schon davon, in einem bunten Kleid mit Federboa oder einem Ritterkostüm durch die Stadt zu laufen - oder zumindest durch meine Wohnung. Dem Alltag entfliehen, Opern nachspielen, lustige Fotos schießen.

Also rein in die heiligen Hallen. Aber wo anfangen? Vier lange Reihen mit Garderobenständern, die unter all den Farben und Stoffen in die Knie gehen: rot, blau, gold oder Seide, Cord, Bast. Was suche ich eigentlich genau? Etwas auffälliges, außergewöhnliches, altmodisches? Oder lieber nett, adrett, natürlich?

Schwarze Holzpantoffel oder chinesische Strohhüte

Ziellos streife ich die Reihen entlang, berühre die edlen Kleider, lasse die Fingerspitzen über knisternde Stoffe gleiten. Ich ziehe ein rotes Abendkleid, einen blauen glänzenden Umhang und ein kurzes Dirndl heraus. Probiere ein Paar schwarze Holzpantoffel an. Setze einen großen chinesischen Strohhut auf.

Um nur selten getragen zu werden, sind die Kleider oft doch ein wenig zu teuer. Oder die Farben zu grell, die Stoffe zu steif, die Schnitte zu unförmig.

Die schillerndsten Figuren der Operngeschichte geben sich hier ein Stelldichein. Zumindest ihre Hüllen. Manche Kostüme sind Einzelstücke, andere sind zigmal vorhanden. Auf jedem Kleidungsstück ist sorgsam der Name des Schauspielers eingenäht, der es bei der Opernaufführung getragen hat. Lohengrin, Turandot, Aida oder Katja Kabanova? Ich kann mich nicht entscheiden.

Eine Dame probiert in einer Ecke einen braunen, wallenden Umhang an. Passend dazu setzt sie sich eine Art Perücke aus Pappe auf. Sieht gar nicht schlecht aus, das will ich auch! Edel, aber nicht überkandidelt. Schlicht, aber durchaus außergewöhnlich.

Bin ich Krieger, Waldbewohner oder Insekt?

Der braune Umhang ist schnell an einem der Kleiderständer gefunden. Mindestens zwanzig hängen dort. Sie haben wohl eine Schar Krieger, Waldbewohner oder Insekten in einer Aufführung eingekleidet. Ach nein, bestimmt die ägyptischen Tempelbewohner in Aida! Ich werfe mir einen Umhang über, geselle mich zu der Frau im Partnerlook und summe den Triumphmarsch aus Aida.

Doch der Umhang ist viel kürzer als der von der Frau neben mir. Ob es wirklich das gleiche Modell ist? "Ja, ja", antwortet sie. "Meiner ist nur für Männer, weil ich in das Frauenkleid nicht reinpasse." Ach so. Ist er nun das, was ich will?

Ein Verkäuferin stürmt auf mich zu. Dankbar nehme ich ihre Hilfe an, mir beim Zubinden der Schnüre zu helfen. "Jetzt brauchen Sie nur noch eine Perücke", sagt sie und nimmt mir die Entscheidung ab, ob ich das Kostüm wirklich so hübsch finde oder ob es mir überhaupt steht. Sie führt mich in meinem Umhang zu einem Tisch, auf dem zwei verschiedene Modelle liegen: flach oder vorne aufgetürmt.

Mit erhobenem Haupt gegen die Peinlichkeit

Ich fühle mich beobachtet, grinse verlegen, während ich die erste Perücke überziehe und mich im Spiegel betrachte. Ich beruhige mich aber, als ich bemerke, dass die anderen Leute viel merkwürdigere Dinge anprobieren: wallende goldene Umhänge, Narrenkostüme mit Glocken oder Käfermasken mit langen Fühlern. So langsam fühle ich mich richtig wohl als Ägypterin. Ich schreite den Gang mit erhobenem Kopfe auf und ab und denke an Aidas Gefangenschaft und die Pyramiden.

Nachdem ich etwa zehn Perücken übergezogen habe, sehe ich ein, dass es jedes Modell nur in einer Größe gibt. Die flachen sind zu groß: Sie rutschen mir über die Augen, so dass ich nichts mehr sehen kann. Also die aufgetürmte Perücke.

Ich begebe mich zur Kasse. "25 Euro", sagt die Kassiererin. Doch, oh Schreck, ich habe nur noch 22 Euro. Und ich hatte mich inzwischen so auf das Kostüm gefreut! Doch die nette Kassiererin verkauft mir meine Beute drei Euro billiger. In meinem Geist lasse ich Aidas Ruf "Als Sieger kehre heim!" über die Maximiliansstraße ertönen, als ich das Operngebäude mit einer großen Tüte in der Hand verlasse.

Ich freue mich auf den Tag, an dem ich das Gewand das erste Mal tragen kann. Endlich besitze ich das ultimative Faschingskostüm und muss nicht mehr als Tennisspielerin, Clown oder Indianer losziehen. Doch bis dahin dauert es noch über drei Monate. Ob es übertrieben wäre, meinen Geburtstagsgäste am Wochenende in meinem neuen Outfit zu empfangen?

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