Selbstversuch in der Allianz-Arena:30.000 Versuchskaninchen

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Stell dir vor, es ist das erste Derby einer neuen Ära - und 30.000 gehen hin. Dabei ist das gerade mal die Hälfte dessen, was die Allianz Arena am Tag der offiziellen Eröffnung zu bewältigen hat. sueddeutsche.de hat an dem Testlauf teilgenommen.

Von Caroline Daamen

Gut, es war "nur" das Derby der Traditionsmannschaften von 1860 München und dem FC Bayern. Aber es war das erste Spiel vor Zuschauern in der Allianz Arena. Und das ist, was zählt.

Vielleicht ein Fall für Ebay: die Chipkarten der Allianz Arena sind was für Sammler. (Foto: Foto: Daamen)

Die Neugier, dieses monströse Machwerk neben der A9 mal von innen zu sehen, war groß. Und für 15 Euro kann man das schon einmal machen, auch wenn "nur" alte Herren spielen.

30.000 Versuchskaninchen

Also auf zur neuen Pilgerstätte der Fußball-Verrückten, vereint im Blick auf den MVG-Streckenplan: "Wo genau müssen wir eigentlich raus?" Fröttmaning. Die U6 hat dort ihre neue Endhaltestelle - Fußball-Service der Verkehrsbetriebe. Wird als Plus vermerkt. Schließlich wollte Bayern-Pressesprecher Markus Hörwick genau wissen, wo mögliche Schwächen liegen.

Wir sind bei dieser Simulation des Ernstfalls in der Arena die Versuchskaninchen für die anstehenden Partien, wenn mindestens die doppelte Menge an Fans ins Stadion will.

Angesichts der Menschenmassen, die sich bereits am frühen Abend von den Bahnsteigen Richtung Fußball-Tempel schieben, will man sich gar nicht so genau vorstellen, wie das laufen soll, wenn es noch mehr sind.

Eintritt per Scheckkarte

Treffpunkt mit der Autofahrer-Fraktion wird "P3", einer dieser Luftballon-ähnlichen Laternenpfähle, die die Ein- und Ausgänge der Parkhäuser markieren. Ist gut zu finden - und außerdem videoüberwacht. Aber bei der Polizeipräsenz dürfte sowieso niemand auf dumme Gedanken kommen.

Die schicken Eintrittskarten sind aus Plastik. Beeindruckend, wenn man nur schnöde Papiertickets gewöhnt ist. Hat was von Kreditkarte. Und heißt deswegen auch "ArenaCard". In den 15 Euro Eintrittspreis sind fünf Euro Verzehr eingerechnet, die auf der Karte geladen sind. So werden Bier und Bratwurst bargeldlos erstanden.

Frauenquote hält Damentoiletten frei

Na gut, aber erst 'mal reinkommen. Nordtribüne: Leibesvisitation, Karte nur vor das Lesegerät am Drehkreuz halten, nicht etwa in den Schlitz stecken, der dazu einlädt. Das rattern die Helfer zumindest gebetsmühlenartig herunter. Was in den Schlitz nun eigentlich hineingehört, darauf erhalten wir keine Antwort.

Einmal drin, geht die Suche nach den Toiletten los. Das Erstaunliche: Keine Warteschlangen vor der Damentoilette, weder drinnen, noch draußen. Wie herrlich, noch ein Pluspunkt (und ein Hoch auf die niedrige Frauenquote in Fußballstadien).

Weiter im Text: Nordtribüne, Unterrang 129. Für Kenner der Szene: Die Nordkurve ist Löwen-Revier. Die "Roten" haben in der Südkurve ihre (aus Oly-Zeiten) angestammte Heimat. Die einen halten Hacker-Pschorr-1860-Becher in den Händen, die anderen werden von Paulaner abgefüllt.

Die Kurven sind auch gut besucht, die obersten Ränge bleiben leer. Eigenlich schade. Sieht aber trotzdem imposant aus. Und man ist endlich schön nah dran am Spielfeld.

Gitter und Geländer im Blickfeld

Doch der Unterrang hat seine Tücken: Die Kurven gelten offiziell als Stehplatzbereich, auch wenn an diesem Abend alle sitzen. Die Klappsitze in diesem Abschnitt (natürlich alle mit dem Arena-Emblem versehen) können vor einem Spiel bei Bedarf von den Betreibern entfernt werden.

Dementsprechend hoch sind die Geländer vor diesen Rängen, die einem im Sitzen den Blick aufs Spielfeld ebenso vermiesen, wie die Gitter vor dem Rasen.

Aktionen direkt vor dem Tor sind da nur schwerlich zu verfolgen. Fettes Minus. Warum nicht konsequent Sitzplätze vergeben und auf Gitter verzichten?

Geht in England doch auch. Scheint aber eine deutsche Eigenheit zu sein. Beim nächsten Mal einfach ein paar Euro drauflegen und eine "Etage" höher einchecken. Von dort ist der Blick fantastisch.

Helden früherer Tage

Ach ja: Gespielt wurde auch noch. Lauter Namen, die man selbst aus alten Sportschau- und ran-Zeiten noch kennt: Wiggerl Kögl, Bruno Labbadia, Manni Schwabl, Thomas "Icke" Häßler, Karl-Heinz und Michael Rummenigge, Davor Suker, Peter Pacult und Tante Käthe, bei jedem Ballbesitz mit Ruuuuuuudi-Rufen angespornt.

Die Blauen geben auch gleich den Ton an, liegen nach acht Minuten schon mit 2:0 vorne, da können Kalle Rummenigge und "Loddar" den neuen Rasen noch so beackern. Das erste Tor auf neuem Terrain geht auf Peter Pacults Kappe. Schönes Ding.

Im fliegenden Wechsel können die Helden früherer Tage sich mal ein Päuschen gönnen, wenn die Luft nicht mehr reicht. Dementsprechend wird auch die Halbzeitpause auf 25 Minuten ausgedehnt. Es bleibt also genug Zeit, einen der angepriesenen 28 Kioske auszuprobieren.

Bezahlt wird mit der Karte, die man auch gleich wieder aufladen kann, weil sie bis zum Ende der Bundesliga-Saison 2006/2007 ihre Gültigkeit behält. Das nennt man Kundenbindung.

Wer mit dem Auto da ist, muss mindestens noch zwei Euro drauf haben, um aus dem Parkhaus zu kommen. Das wird häufig genug wiederholt, auch wenn die meisten froh sind, mit der U-Bahn abrauschen zu können, statt im Stau zu stehen.

"Loddar" versemmelt

Als es weiter geht, haben sich die Plätze noch lange nicht wieder ganz gefüllt - die ungewohnte Bezahlung mit der Chipkarte verursacht Verzögerungen im Imbissbereich.

Die Stimmung ist gelassen, Foto-Handys und Digital-Kameras sind im Dauereinsatz. Das nächste Tor legen wieder die Löwen vor, bevor Wiggerl Kögl den ersten Bayern-Treffer in der neuen Heimat markiert.

FCB-Stadionsprecher Stefan Lehmann muss erst damit drohen, Gerd Müller einzuwechseln, bevor Karl-Heinz Rummenigge zum 2:3 einköpft. Einen Elfmeter gabs auch für die Roten. Beste Chance zum Ausgleich - aber Loddar versemmelt.

Insgesamt machen die 60er den spritzigeren Eindruck und zaubern auch mal mit Hackentrick. Dazwischen winken Ruuuuuudi und Icke auf Zuruf aus der Kurve auch mal freundlich.

Tante Käthes Trikot in der Fankurve

Völler wirft nach dem Spiel sogar sein Trikot in die Fankurve - und knöpft dem alten Nationalmannschafts-Kollegen Häßler schnell die Trainingsjacke ab, weil es mittlerweile doch ein wenig frisch geworden ist.

Wirklich eilig hat es keiner, aus dem Stadion zu kommen. Es gibt so viel zu sehen. Draußen stehen die Fans und warten auf das Farben-Schauspiel der Arena-Luftkissen vor dem nächtlichen Himmel. Von weiß zu rot zu blau - wieder Handy und Kamera im Anschlag.

Nur bei weißer Beleuchtung ist der Namenszug "Allianz-Arena" vollständig zu lesen. Bei den Farbvariationen der beiden Vereine bleiben viele Buchstaben im Dunkeln.

Welch Symbolik: Wenn der Fußball in den Vordergrund tritt, hat selbst der Sponsor zu schweigen. Sehr sympathisch.

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