Selbstversuch:Hurra, ich bin ein Elefant!

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Das bisschen Modern Dance auf Indisch kann doch nicht so schwer sein. Den typischen Bollywood-Zierrat kriege ich ja wohl noch hin. Ein Workshop mit Profi-Trainer.

Ruth Schneeberger

Es ist ja nicht so, dass ich nicht vorbereitet gewesen wäre: Zehn Jahre Ausbildung in klassischem Ballett, zehn Jahre tanzen durch die Clubs dieser Welt, und gerade erst habe ich mich ganz frisch in einem Tanzstudio angemeldet. Wer also, wenn nicht ich, ist in der Lage, einen Profi-Workshop in Modern Dance einigermaßen elegant durchzustehen?

Ich poltere also hochmotiviert in diese Gruppe von Profis. Davon sind gerade auffällig viele in der Stadt, denn in München ist internationale Tanzbiennale, die "Dance 2006".

15 in der Szene berühmte Choreographen aus neun Ländern zeigen zwei Wochen lang die aktuellsten, waghalsigsten und gesellschaftskritischsten Tänze auf den Bühnen der Stadt. Zeitgenössischer Tanz ist ja nicht zum Spaß da, zumindest nicht dieser: Die Tanzkompanien analysieren und kommentieren, verwandeln, zerstören und strukturieren das aktuelle Lebensgefühl ihrer Herkunftsländer. So ist es zumindest gedacht. Der unbedachte Zuschauer sieht dabei vor allem eins: begnadete Körper.

Das kriege ich ja wohl noch hin

Ich aber will ja mitmachen. Einer der berühmten Choreographen bietet im Rahmen der Biennale diesen Workshop im Gasteig an. Jayachandran Palazhy und seine Tanzcompany vom Attakalari Centre for Movement Arts aus Indien geben Einblick in die Welt des indischen Tanzes. Klassische und moderne Tanzformen, Yoga und kreativer Tanz sind versprochen. Prima, Yoga kenne ich schon. Da kann ja nichts mehr schief gehen. Das bisschen indischen Zierrat kriege ich auch noch hin. Dachte ich.

Die Misere beginnt mit dem Zuspätkommen. Das Aufwärmtraining ist schon vorbei. Mir macht das gar nichts aus, ich bin ja Profi: Ihr werdet schon noch sehen, wie ich warm werde.

Die meisten Teilnehmer sind sehr klein, sehr zierlich, sehr indisch. Ich soll mir eine Partnerin auf Augenhöhe suchen. Na, gottseidank: Mira ist Halb-Inderin und misst auch 1,80 Meter. Glück gehabt. Wir sollen gemeinsam schwingen. Klappt noch nicht so gut, ich komme ja gerade erst an. Und Mira ist auch kein Tanzprofi.

Auf ein Kopfnicken des Tanzlehrers gibt ein winziger Inder leise Anweisungen auf Englisch. Wir stellen uns so blöd an, dass ich laut los pruste. Der Inder schaut verständnislos. Es wird also ernst.

Na gut, das Mädchen in Schwarz hat auch noch keine Erfahrung in indischem Tanz. Wenn sie die Beine schwingt, gleicht es einem Donnerwetter, während die indischen Tänzer drumherum ihre Körper schlangengleich-anmutig durch die Luft sausen lassen. Ich bin also nicht die einzige, die ihre Probleme damit hat. Ich fühle mich besser.

Der Trainer: nur Augen und Körper

Plötzlich schnellt der winzige Inder vor und lobt das Mädchen in Schwarz voller Anerkennung für ihren kraftvollen Beinschwung. Mist. Hier gelten offenbar andere Regeln als im Ballett. ich fühle mich wieder schlechter.

Wie machen das denn die anderen? Ich dachte, wir sollen hier erst von den Profis lernen? Wer also sind diese ganzen indischen Tänzer, die sich bewegen, als sei Schwerkraft ein Fremdwort?

"Das ist die Tanzcompany", flüstert mir meine Nachbarin zu. Sie ist doppelt so alt, aber doppelt so beweglich wie ich. Wir stehen mitten in einer Gruppe von hauptberuflichen Tänzern, die man sonst nur auf den Bühnen dieser Welt zu sehen bekommt. Wie spannend. Aber auch frustrierend: Wie soll ich denn da mithalten?

Ich versuche eine neue Methode: Mehr Konzentration auf den Lehrer. Ein Schlangenmensch. Nichts unnötiges dran, keine Haare, keine übertriebenen Muskeln oder Spaßklamotten: einfach Körper. Und sehr dunkle Augen, die alles gleichzeitig sehen.

Sieht ziemlich albern aus

Nur mit diesen Augen dirigiert er seine Tänzer. Die schauen dann vorbei und geben leise Anweisungen: Höher, stärker, schneller, usw. Oder führen die nächste Übung vor, während sich der Meister zurücknimmt, um zu beobachten. Alles passiert ganz schnell, ganz ruhig und ganz leise. Alles ist im Fluss. Schon das ist eine eigene Choreographie.

Achja, ich soll ja tanzen. Eigentlich sind die Bewegungen ganz einfach. Arme hoch, Arme runter, Beine hoch, Beine runter. Ein bisschen springen, ein paar Drehungen, das kann doch nicht so schwer sein.

Ist es aber doch. Irgendwie ist das ein ganz anderer Rhythmus als jeder andere Tanz zuvor. Sehr langsam, aber sehr bestimmt. Kraftvoll, ruhig. Scheinbar gelassen, und doch höchst präzise. Die Bewegungen müssen von Anfang an sitzen, sonst sieht es albern aus. Geprobt wird nur zweimal, dann muss man's können. Mira und ich tauschen ein verlegenes Lächeln aus. Prima, ich bin nicht allein am unteren Ende der Skala.

Jetzt geht's an die Handarbeit. Aufwärm-Übungen für die Finger, wie beim Klavierspielen. Damit man auch noch den Ringfinger völlig widernatürlich abspreizen kann, während die Beine hüpfen, die Füße, stampfen und der Rest des Körpers in alle Himmelsrichtungen strebt. Ich bemühe mich nach Kräften. Der Lehrer kommt wieder vorbei, richtet meine Arme neu aus. So sei es gut. Okay, es sieht vielleicht besser aus - aber wie soll ich auch nur zwei Sekunden lang in solcher Verrenkung verharren? Ich atme schwer.

Eine neue Strategie: Ich mache mich still über die Outfits der anderen lustig. Hilft aber auch nichts: Sie sind einfach besser als ich.

Hochroter Kopf, peitschender Puls

Nun konzentriere ich mich auf die Idee: Indischer Tanz, was ist das? Martial Arts, Yoga, Body Conditioning, habe ich vorher gelesen. Augenfokus und Mikrobewegungen sollen helfen, den Tanzenden nach indischer Lehre mit dem Buddhismus zu verbinden. Ich versuche, ganz ruhig zu werden. Achtsamkeit ist das Stichwort.

Wir sollen zum Elefanten werden. Klar, Indien - Elefant, was sonst? Der Profi mit den längsten Beinen macht es vor. Und es sieht natürlich überhaupt nicht schwerfällig aus. Dies sei "the essence of an elephant", nicht der Elefant selbst, erklärt Jayachandran Palazhy.

Ich versuche, es möglichst elegant nachzumachen. Möglichst elegant, wie albern. Was ist an einem Elefanten elegant? Will ich wirklich ein Elefant sein? Dazu noch ein tänzelnder?

Kann ich nicht Tiger sein?

Irgendwie sträube ich mich noch. Kann ich nicht ein Tiger sein? Von mir aus auch Antilope. Ich gerate aus dem Takt.

Nicht so viel nachdenken, einfach treiben lassen. Machen die anderen scheinbar auch, und es klappt. Mir fällt auf, dass gar keine Musik gespielt wird. Komisch, erst jetzt, nach über einer Stunde.

Ich sehe, wie die anderen ihre Rücken über den Boden schwingen. Wie sie ihre Arme zum Rüssel verbiegen. Bei ihnen sieht es gar nicht komisch aus, sondern irgendwie echt. Die anderen sind schon Elefanten. Ich muss aufholen. Ich strenge mich an. Irgendwie muss man doch zum Großtier werden können. Meine neueste Methode: Das Tier in sich spüren. Und sei es auch ein Elefant. Vielleicht habe ich beim nächsten Mal mehr Glück, und es wird eine Katze.

Ich höre ein Flüstern: "Po nach unten! Rücken fest!" Der winzige Inder korrigiert mich. Der Trainer fokussiert mich. Ach, so geht das. Einfach fließen lassen. Und with a little help from my new friends wird's immer besser.

Zwei Stunden sind rum. Mit hochrotem Kopf und peitschendem Puls schnaufe ich schwer, aber glücklich. Es ist geschafft. Die Bewegungen sitzen, der Po bleibt unten, ich verschmelze mit der Gruppe, wir sind eins: eine prima Herde. Hurra, ich bin ein Elefant!

Jayachandran Palazhy und die Tänzer des Aattakalari Centre for Movement Arts sind am 3. und 4. November um 20.30 Uhr mit der Produktion "Purusharta" (Sinn des Lebens) in der Muffathalle zu sehen.

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