Sebastian Färber:Ein Löwe zum Anfassen

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Kein anderer Verein hat ein Maskottchen nötiger als der selbstzerstörerische TSV 1860 München. Selbst derzeit kann Sebastian Färber in seinem Kostüm Unbeschwertheit vermitteln.

Lara Doktor

Eine dreiviertel Stunde vor Spielbeginn betritt Sebastian Färber im Löwenkostüm den Rasen der Allianz Arena. Die Sonne scheint, der Himmel ist hellblau. Auf den Rängen sitzen schon die ungeduldigen Fans. Sie warten auf den Anpfiff. Färber geht in die Fankurve, tanzt zu den Fußballliedern, läuft zum Zaun und klatscht mit den Fans ab. Die blau-weiße Fahne schwenkend dreht er eine Runde im Stadion. Von der Krise keine Spur.

Ein schweißtreibender Job: Löwen-Maskottchen und Anheizer im Stadion. (Foto: Foto: Lara Doktor)

Seit Jahrzehnten gilt der TSV 1860 München als Chaosklub mit Hang zur Selbstzerstörung - kein anderer Verein hat ein Maskottchen wohl nötiger als die Löwen. Gerade stecken die Sechziger wieder besonders tief im Sumpf. Geschäftsführer Stefan Reuter musste gehen und dann platzte der Wechsel zu einem neuen Investor, der offensichtlich Einfluss nehmen wollte. Stebastian Färber wirkt in seinem niedlichen Kostüm wie das letzte Stück Unbeschwertheit, das im Hickhack der Vereinspolitik überlebt hat.

Wie in Watte gepackt muss sich Färber fühlen, wenn er das Löwenkostüm anzieht. Denn hören kann er durch den dicken Löwenschädel nicht gut. Die Sicht durch das Löwenmaul ist eingeschränkt und die Füße des Kostüms hätten sich den Titel Quadratlatschen verdient. Damit er nicht wieder hinfällt, wie letztens auf einer Treppe, hat er sich einen tapsigen Gang angewöhnt. Trotzdem schlurfen die Pfoten schwer über den Boden.

Wenn er sich unterhalten will, muss er den Löwenkopf abnehmen. Er hat Schweißperlen auf dem Gesicht. "Da drin ist es wie in einer Sauna", erklärt er. Außerdem ist das Kostüm schwer. Er schwitzt er darin viel. Denn er möchte kein Maskottchen sein, das nur in der Gegend herumsteht. Er will rennen, zur Musik im Stadion tanzen, Faxen machen. Um ein quirliger Löwe zu sein, braucht Färber Kondition. Die hat er als leidenschaftlicher Skifahrer.

Kurz vor Anpfiff läuft Färber mit den Mannschaften ins Stadion ein. Dann zieht er sich vom Spielfeld zurück. Jetzt soll das Spiel im Vordergrund stehen. Schnell kassieren die Löwen einen Gegentreffer. So bleibt auch das Ergebnis bis zum Halbzeitpfiff. Die Fans sind genervt. Färber kennt das. Dann ist es schwierig, sie zu animieren. Besonders wenn die Löwen ein paar Spiele hintereinander verloren haben oder wenn es innerhalb des Vereins mal wieder brodelt - wie derzeit.

Seit vier Jahren verwandelt sich der 20-Jährige bei den Heimspielen vom TSV 1860 München in das Löwenmaskottchen. Statt einer Löwenmähne hat Sebastian im normalen Leben aber braune Locken. Und anstatt eines Trikots trägt er ein braunes Jackett, darunter ein gestreiftes Polohemd. Keine Riesenpfoten, sondern Sneakers. Aus der Jacketttasche ragt eine Achtziger-Jahre Sonnenbrille, am Revers steckt ein Button. Beim Reden hat er eine offene, sympathische und selbstbewusste Art.

Seiner Meinung nach sind diese Eigenschaften aber nicht Voraussetzung für seine Rolle als Maskottchen. Schließlich steige er in ein Ganzkörperkostüm, niemand würde ihn, Sebastian Färber, sehen oder erkennen. Deswegen fällt es ihm auch leichter, sich mal zum Affen zu machen. "Wenn ich den Löwenkopf aufsetze", sagt er, "bin ich nicht mehr der Basti. Dann bin ich der Löwe." Dann tobt er sich aus und versucht, nicht daran zu denken, wie viele Leute ihm zuschauen. Meist sind es über 30.000. Immer noch kriegt er Bauchkribbeln, wenn er ins Stadion einläuft.

Für die Spiele reist Färber aus Innsbruck an, dort studiert er nämlich Sportmanagement. Ein Studienfach, auf das er indirekt durch den TSV 1860 gebracht wurde. Denn als Maskottchen hat er oft mit den Angestellten von der Marketingabteilung zu tun und fand diesen Bereich spannend. Außerdem ist er selbst eine Art wandelnde Werbesäule, allerdings mit Mähne und Krallen.

Die Ehre des Löwen verteidigt er auch über die Grenzen Bayerns hinaus - zum Beispiel in Köln bei der "TV-Total-Maskottchen-WM" von Stefan Raab. Dort schied der Löwe beim Hürdenlauf in der Qualifikation aus. Spaß gemacht hat's trotzdem.

Eine Familie im Löwenwahn

Wenn Färber verhindert ist, dann vertritt ihn sein kleiner Bruder im Löwenkostüm. Seit vergangener Saison kommt Färber auch nicht mehr alleine ins Stadion - an seiner Seite läuft seine zwei Jahre ältere Schwester als kleines Löwenmaskottchen mit. Eine Familie im Löwenwahn. Muss man schon ein wenig verrückt nach Fußball sein, um in das Löwenkostüm zu schlüpfen, findet Färber. Nicht wegen des Geldes, da gäbe es lukrativere Nebenjobs. Er ist einfach Fan. Und das schon seit er fünf Jahre alt ist. Da hat ihn sein Cousin, ein ehemaliger Spieler von 1860, mit ins Stadion genommen.

Und als Fan freut es ihn, dass er die Spieler von 1860 persönlich kennt. Sie grüßen ihn, wenn sie sich treffen, aber er ist kein Teil der Mannschaft. Fußballspielen können sie auch ohne das Maskottchen. Aber den Fans würde etwas fehlen. "Ich bin ein Sechziger zum Anfassen", sagt Färber. "Ich gehöre zu 1860 und kümmere mich um das Publikum. Die Spieler selbst haben meist wenig Zeit."

Besonders Kinder mögen ihn. Die nehmen ihn in den Arm, wollen sich mit ihm fotografieren lassen. Überall wo Färber in seiner flauschigen Verkleidung entlang läuft, sprechen ihn Fans an. Sie grüßen ihn: "Hallo Löwe!" Färber winkt zurück. Auch die Ordner sprechen ihn an: "Pass auf deinen Schwanz auf, der ist so lang, der schlurft auf dem Boden!"

Inzwischen haben die Sechziger das Spiel gedreht: In der zweiten Halbzeit fällt ein Treffer für die Löwen. Der Fanblock hüpft vor Freude. Das Spiel wird abgepfiffen. Ein kleines und ein großes Löwenmaskottchen rennen aufs Spielfeld zur Mannschaft und hüpfen zur Musik. Jetzt ist das ganze Stadion voller Löwen.

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:Ein Löwe zum Anfassen

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