Schuldenberatung der Caritas Freising:"Die meisten kommen viel zu spät"

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Immer mehr Münchner sind verschuldet. Schuldnerberaterin Sabine Schuster über verdrängte Geldprobleme und mögliche Hilfen.

Katja Riedel

Die Sozialpädagogin Sabine Schuster, 40, arbeitet seit vier Jahren als Schuldnerberaterin bei der Caritas in Freising.

"Überschuldung macht vor keiner sozialen Schicht halt", warnt die Schuldenberaterin Sabine Schuster. (Foto: dpa)

SZ: Frau Schuster, warum gibt es im Großraum München so viel mehr Menschen, die insolvent werden?

Sabine Schuster: Wir haben 2008 einen kurzen Aufschwung erlebt, viele Schuldner glaubten, es doch noch allein zu schaffen. Jetzt erleben wir eine verzögerte Welle. In München haben wir sehr hohe Lebenshaltungskosten, infolge der Wirtschaftskrise aber wenig stabile Arbeitsbedingungen. Wohnen im Landkreis Freising ist so teuer wie in München, wir haben aber sehr viele schlecht bezahlte Jobs, vor allem in der Logistikbranche. Da wird es schwierig, die Miete zu bezahlen. Wenn dann noch Ratenzahlungen für ein Auto oder einen Kredit fällig werden, wird es richtig schwierig. Wer plötzlich in Kurzarbeit ist, muss mit erheblichen Einschränkungen leben und sämtliche Ausgaben hinterfragen.

SZ: Das heißt, Sie haben immer mehr Beratungsfälle?

Schuster: Die Zahlen sind schon seit Jahren konstant hoch. Unser Team betreut etwa 300 Klienten im Jahr, 70 bis 80 gehen in die Verbraucherinsolvenz. Die Problemlagen werden aber komplexer. Die Menschen haben nicht nur Schulden, sondern leben in schwierigen sozialen Beziehungen. Vielen unserer Klienten fehlt es sozusagen an allen Ecken und Enden.

SZ: Gibt es eine soziale Schicht, die besonders gefährdet ist?

Schuster: Überschuldung macht vor keiner sozialen Schicht halt. Bildungsabhängig ist, wie leicht jemand ein Risiko eingeht. Und Akademikern fällt es meist dank ihres Einkommens leichter, Schulden zurückzuzahlen. Besonders gefährdet sind aber Jugendliche, die plötzlich selbst Verträge abschließen dürfen und nicht die Folgen bedenken, und frisch Verrentete, die vielleicht ihren Kredit für die Wohnung noch nicht abbezahlt haben, aber mit weniger Geld auskommen müssen. Arbeitslosigkeit, Trennung und Krankheit sind außerdem Lebensereignisse, die schnell in die Überschuldung führen.

SZ: Wie fühlen sich die Menschen, die zu ihnen kommen?

Schuster: Die meisten Klienten kommen viel zu spät - erst, wenn der Lohn schon gepfändet ist, die Wohnung bedroht, der Briefkasten voll ist mit Mahnungen. Sie sind deshalb sehr belastet, können nicht schlafen, öffnen ihre Briefe nicht mehr und gehen auch nicht mehr ans Telefon. Unsere Aufgabe ist es, sie mit ihren Problemen zu konfrontieren. Viele würden am liebsten eine Schuhkarton mit ihren Rechnungen abgeben. Da können wir sie nicht so einfach entlassen.

SZ: Politiker fordern immer wieder, Wirtschaft als verbindliches Schulfach einzuführen. Kann das gegen Überschuldung helfen?

Schuster: Den Umgang mit Geld zu schulen und so Kindern und Jugendlichen Finanzkompetenz zu vermitteln, halte ich für sehr sinnvoll. Ich selbst gehe in Kindergärten und an Schulen. Die Kindern sollen lernen zu hinterfragen, ob sie sich einen Kauf leisten können. Das mache ich auch mit meinen Klienten: Wir erstellen einen Haushaltsplan und fragen, ob ein Sky-Abo, ein Fahrzeug oder ein Handyvertrag wirklich unverzichtbar sind.

SZ: Belastet Sie es als Beraterin, mit so vielen Problemen konfrontiert zu werden?

Schuster: Das ist manchmal schwierig, besonders wenn Kinder betroffen sind. Von 200 Euro für Essen und Kleidung können Eltern Kindern kein gesundes Essen bieten. Ich bin selbst ein sparsamer Mensch, aber meinen Kindern möchte ich schon mal etwas gönnen. Wenn nur das Spardiktat herrscht, ist das unmöglich.

© SZ vom 13.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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