Schönheitschirurg vor Gericht:Silikon gegen Halsschmerzen

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Vollere Lippen, Brüste oder Hintern - alles auf Kasse. Ein Münchner Chirurg rechnete Schönheitsoperationen als notwendige HNO-Eingriffe ab. Davon profitierten Kundinnen, die vorwiegend aus dem Rotlichtmilieu kamen. Vor Gericht hat er nun einen Deal geschlossen und darf möglicherweise sogar als Arzt weiterarbeiten.

Von Christian Rost

Voll und rund wurden sie gemacht, die Lippen, Brüste und die Pos. Ein 50-jähriger Schönheitsdoktor aus München versprach seinen Kundinnen auf seiner Internetseite einen attraktiveren Körper, wenn sie sich ihm anvertrauten. Die Eingriffe, und das war das besondere in dieser Praxis, waren nicht einmal teuer, oft kosteten sie die Patientinnen gar nichts.

Denn der Arzt rechnete die Körper-Korrekturen als medizinisch notwendige Hals-Nasen-Ohren-Eingriffe ab, was auch etliche Damen aus dem Rotlichtmilieu zu schätzen wussten. Weil der Arzt Hunderte Abrechnungsbetrügereien beging und einen Schaden von rund 660 000 Euro verursachte, musste er sich am Montag am Landgericht München I verantworten.

Doktor Kai B. (Name geändert) hatte sich bald nach seiner Ausbildung zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt auf einen sehr viel lukrativeren Geschäftszweig verlegt: Schönheits-OPs. In einer europaweit bekannten Spezialklinik am Bodensee machte er eine Zusatzausbildung für plastische Chirurgie. Dort arbeitete er auch jahrelang als Leitender Oberarzt, ehe er auf eigene Rechnung im Münchner Hilton Park Hotel eine noble Schönheitsklinik aufziehen wollte.

Die Rechnung ging nicht auf, 600.000 Euro Schulden drückten ihn am Ende, und so begann er in weit kleinerem Rahmen in der Innenstadt mit einer einfachen Praxis, bestehend aus "einem ambulanten Operationsraum, einem Sprech- und einem weiteren Untersuchungszimmer", wie der Angeklagte berichtete. Er habe anfangs "von der Hand in den Mund" gelebt, so der Mediziner, dem aber mehr das Modell "auf großem Fuße" vorschwebte.

Um dieses Ziel zu erreichen, so gestand er vor der 8. Strafkammer, habe er von April 2005 bis Mai 2012 bei 90 Patientinnen - und auch Patienten - falsch abgerechnet. In 990 Fällen nahm er Schönheitskorrekturen vor und stellte den privaten Krankenversicherungen Rechnungen mit falschen Diagnosen aus.

So wurde mittels einer vorgeblichen Behandlung eines Rachens oder Ohres so mancher hübsche Busen finanziert. Die Künste von Dr. B. sprachen sich auch bald in der Halbwelt herum. Ein Zuhälter bat den Arzt schließlich um einen "Gefallen": Er sollte den Körper einer Prostituierten noch attraktiver machen.

B. ließ sich darauf ein, woraufhin "seine rasante kriminelle Fahrt nicht mehr aufzuhalten war", wie es sein Verteidiger Sewarion Kirkitadse formulierte. 2009 hörte die Polizei zufällig Telefonate zwischen Zuhältern und dem Doktor ab, in denen OP-Termine und Abrechnungsmodalitäten besprochen wurden. Kurz darauf durchsuchte die Kripo die Praxis von B. Konsequenzen hatte das vorerst nicht, weil der Fall zwei Jahre in der Aktenablage der Polizei vor sich hinschlummerte. Trotz laufender Ermittlungen rechnete B. weiter falsch ab.

Inzwischen zählten zu seinem Kundenstamm neben den Rotlichtdamen auch mehr oder weniger Prominente, mit denen sich der Arzt auch bei einer Oktoberfestsause in einer Boulevardzeitung abbilden ließ. In der Bildunterschrift wurde B. als stadtbekannter "Körper-Tuner" vorgestellt, der gerade ein Dekolleté inspiziere.

Als 2012 erneut die Polizei zur Durchsuchung in seiner Praxis auftauchte und ihm einen Haftbefehl präsentierte, war Schluss mit den gewerbsmäßigen Betrügereien. Der Arzt legte sofort ein Geständnis ab und zeigte sich sehr kooperativ. Nur eines blieb offen: Wo das ganze Geld, das er über die Jahre verdient hatte, geblieben ist?, wollte der Vorsitzende Richter Gilbert Wolf wissen. Die Antwort lieferte Verteidiger Kirkitadse: "Er war in gewissen Kreisen unterwegs, da ist das Leben sehr teuer."

Gericht, Verteidiger und Staatsanwaltschaft hatten sich bereits zu Prozessbeginn auf einen Deal geeinigt. Nach seinem umfassenden Geständnis kam Kai B. dann mit nur drei Jahren und vier Monaten Haft davon. Der Haftbefehl wurde aufgehoben, womöglich kann der Arzt die Reststrafe als Freigänger verbüßen. Ob er seinen Beruf weiter ausüben darf, ist noch offen. Seinen ehemaligen Patienten droht ebenfalls Ungemach: Auch gegen sie wird wegen Betrugs oder Beihilfe ermittelt.

© SZ vom 04.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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