Schauburg:Vertreibung aus dem Paradies

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Die Schauspielerin Jule Ronstedt führt zum dritten Mal an der Schauburg Regie. Es geht um das Thema Scheidung und wie Kinder diese erleben.

Petra Hallmayer

Dass Eltern sich trennen, ist längst traurige Normalität. Die Verwirrungen, Nöte, Hoffnungen und Wunschträume eines kleines Mädchens zeigt Jule Ronstedts Inszenierung "Du, Du & Ich", die das Drama einer Scheidung aus der Perspektive eines Kindes erzählt. Heute um 19.30 Uhr feiert das Stück des Holländers Theo Fransz in der Schauburg Premiere.

In der Schauburg inszeniert Jule Ronstedt eine Scheidung. (Foto: Foto: SZ)

Sie kann es einfach nicht verstehen. Wie könnte sie auch. Schließlich ist es ja Erwachsenen oft unbegreiflich, warum ausgerechnet sie erleben müssen, was alltäglich geschieht und doch niemals sein sollte - dass die Liebe endet. Frederike ist neun. Sie ist wütend, sie ist fassungslos. Die Regisseurin und Schauspielerin Jule Ronstedt schickt ihre kleine Protagonistin auf eine "Forschungsreise", auf der diese in einer Art Traumsequenzen die Stationen der Liebe ihrer Eltern Revue passieren lässt. Das erste Kennenlernen, die Hochzeit, ihre eigene Geburt, die Jahre danach. Irgendwo, glaubt Frederike, muss sie ihn finden, den Knacks, an dem ihre Welt zu zerbrechen begann.

Jule Ronstedt hat gezielt nach einem Bühnentext zum Thema Scheidung für Kinder gesucht. "Aber erstaunlicherweise", meint sie, "befassen sich nur wenige Autoren damit. Und wenn, dann klingen zumeist furchtbar tragische Töne an." Dabei sind sogenannte intakte Familien längst nicht mehr der Regelfall. Die Mehrzahl der Mitschüler ihrer Tochter Helene wachsen mit getrennt oder allein erziehenden Eltern auf, häufig ohne Vater. Wie radikal sich die Realitäten verändert haben, wurde Ronstedt erstmals bewusst, als ihre Tochter eine Freundin mit nach Hause brachte, die über die große Wohnung staunte und auf Helenes Bemerkung, sie seien ja zu dritt, fragte: "Wieso? Wer wohnt denn noch bei euch?"

Ein Happy End wird es auch in der Schauburg nicht geben. Da werden keine Girl-Power- und Erfahrung-macht-stark-Banner geschwenkt, erstrahlt kein neues Glück mit dem Kind als herzigem Partnervermittler. Dennoch soll die Inszenierung sehr lustig werden, ein phantasiebuntes "Wundertütentheater", in dem die Kinder lachen dürfen über die Dummheit der Erwachsenen. Doch Jule Ronstedt will die Verstörung, die eine Trennung bedeutet, nicht kleiner machen als sie ist.

Statt zu wissenschaftlichen Studien zu greifen, hat sie aufmerksam zugehört bei vielen Gesprächen während der Proben. "Da saßen", so Ronstedt, "lauter Scheidungskinder. Und jeder ist anders damit umgegangen." Die Reaktionen reichten von Essensverweigerung über Schulversagen bis zu phänomenal guten Noten, um der Mama nicht noch zusätzlich Kummer zu bereiten. "Aber jeder hat darunter gelitten."

Sie selbst war 15, als ihre Eltern beschlossen, sich zu trennen. In diesem Alter verfügt man bereits über andere Schutz- und Abwehrmechanismen. Allein das heißt nicht, erklärt sie, "dass es leichter wird. Du fühlst dich so ohnmächtig und oft so hundeelendiglich allein."

Frederike rettet sich in Wunschphantasien, sie verstummt, sie mag nicht mehr essen. Sie wehrt sich auf ihre Weise gegen die vernünftigen Zumutungen der Erwachsenen, die heillose Überforderung, wenn sie etwa vor die Wahl gestellt wird, bei wem sie leben möchte, oder wenn die Eltern meinen, sie müsse lernen, deren Bedürfnisse und Entscheidungen zu akzeptieren. Die Emotionen, für die Frederike keine Sprache hat, werden zu Rhythmus und Musik. Den Part, das auszudrücken, wofür einem Kind die Worte fehlen, übernimmt eine Schlagzeugerin.

Musik hat auch in den ersten beiden Schauburg-Inszenierungen von Jule Ronstedt eine zentrale Rolle gespielt. "Ich wäre gerne sehr sensibel, kann nicht heulen ohne Zwiebel", sang der Hengst in dem witzsprühenden Theatermärchen "FlussPferde", für das sie Lieder schrieb. In "Südseekeller", wo sie als Autorin und Regisseurin fungierte, verwandelte sie die Geschichte einer Familie in Geldnöten, die aus Scham die Ferien im Keller verbringt, in eine Schlager-Revue.

Bekannt wurde die 37-Jährige, die zum Ensemble der Kammerspiele gehörte, zunächst als Schauspielerin. Am liebsten möchte sie alles zugleich tun, spielen, schreiben, Regie führen. Auf der Bühne jedoch steht sie seit der Geburt ihrer Tochter nur noch selten. Sie hat immer wieder Angebote von Theatern aus anderen Städten bekommen, doch dankend abgelehnt. Dafür ist sie im Fernsehen und im Kino präsent, wo sie als Lehrerin in "Wer früher stirbt, ist länger tot" zu einem der Stars des jungen bayerischen Heimatfilms avancierte. Im Februar läuft im Bayerischen Fernsehen die Serie "Franzi" mit Gisela Schneeberger an, in der Jule Ronstedt die Titelrolle übernimmt. Mit ihrer dritten Regiearbeit an der Schauburg will sie ästhetisch neue Wege gehen. "Es ist ein Stück, das ohne literarische Übersetzungen und poetische Verrätselungen auf den Bauch und das Herz zielt, das auf eine an diesem Haus eher ungewohnte Weise Kinder direkt anspricht."

Letztlich aber richtet sich ihre Inszenierung auch an Eltern. "Ich denke", meint Jule Ronstedt, "Väter und Mütter machen sich oft zu wenig klar, was eine Scheidung für ein Kind bedeutet." Dass sie sich mit solch einem Satz auf vermintes Terrain begibt, ist ihr bewusst. Zwar existiert der Paradiesgarten Kindheit ohnehin nur in unserer Erinnerung, und Scheidungskinder sind nicht neurotischer als alle anderen Menschen auch. Allein ihr Leiden wird ebenso wie dessen Verharmlosung gern instrumentalisiert als Argument der Selbstverteidigung oder in Abschiedsgefechten. Schuldzuweisungen liegen ihr fern, betont sie. "Doch ich möchte Eltern darin bestärken, manchmal die eigenen Verletzungen zurückzustellen und etwa Geburtstage oder Schulfeste zusammen zu feiern. Mit der Geburt eines Kindes übernimmt man eine Verantwortung, die nicht vor dem Scheidungsrichter enden darf."

Ihr wichtigster Kritiker während der Proben war ihre Tochter. Und als diese verkündete, dass das Stück "überhaupt nicht gruselig" und die Kostüme ja "sooo schön" seien, da war sie überglücklich. Natürlich soll der Abend nicht zuletzt Spaß und Mut machen. Ohne Trost gehen die Kinder nicht nach Hause. Wenn sie das Theater verlassen, glaubt Jule Ronstedt, werden sie sich etwas weniger allein fühlen, wissen, dass eine Scheidung nicht notwendig bedeutet, Papa oder Mama zu verlieren und es möglich ist, danach noch schöne Momente zusammen zu erleben. Auch wenn nicht alles wieder gut wird - am Ende singen die Drei gemeinsam.

© SZ vom 08.01.2009/wib - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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