Scharfe Kritik:"Desaströser Etikettenschwindel"

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Günther Bauer betreut sieben Heime mit 900 Pflegeplätzen und hält die Reform der Pflegeversicherung für "großen Mist".

Von Sven Loerzer

Er ist kein Mann, der schnell in Rage gerät und üblicherweise harte Worte gebraucht. Aber nun packt ihn der Zorn: Das, was die Berliner Koalition jetzt als "Reform der Pflegeversicherung" preist, belegt Günther Bauer mit Ausdrücken, die sonst nicht zu seinem Wortschatz gehören, wie "desaströser Etikettenschwindel" und "großer Mist".

Als Geschäftsführer der Inneren Mission München, die sieben Heime mit rund 900 Pflegeplätzen betreibt, kann Bauer die Auswirkungen sehr gut beurteilen: "Keine Reform wäre besser als diese, da die gesetzgeberische Untätigkeit auf Jahre festgeschrieben wird." Nicht einmal der Kaufkraftverlust von mindestens 18 Prozent seit 1995, als die Pflegeversicherung mit ihren heute noch geltenden Leistungen eingeführt wurde, werde mit der "angeblichen Reform, die nicht einmal ein Reförmchen ist", nur annähernd ausgeglichen. Im Gegenteil: Bis zur Endstufe 2012 verschlechtere sich die Situation weiter. "Von Nachhaltigkeit ist keine Spur zu entdecken." Für die Heime bringe das Berliner Machwerk praktisch überhaupt nichts.

Wichtiger als die Lebenswirklichkeit

Aber auch im Bereich der ambulanten Pflege sei das Ergebnis ziemlich armselig ausgefallen. So gebe es zum Beispiel für Pflegebedürftige in Pflegestufe 1 monatlich 36 Euro mehr "Sachleistung", also gerade mal eine Pflegestunde zusätzlich pro Monat, erklärt Marianne Schmutzer, Geschäftsführerin des Evangelischen Pflegedienstes München. "Das sind zwei Minuten Pflege mehr pro Tag", sagt Bauer und ärgert sich, dass offenbar Finanzierungsfragen entscheidender waren als die Lebenswirklichkeit und damit die Anforderungen an Pflege zu Hause und im Heim. Was die Politiker öffentlich zum Erfolg erklärten, sei in Wahrheit eine Bankrotterklärung. Für zwei zusätzliche Pflegeminuten pro Tag müsse sie neue Preislisten und Prospekte drucken lassen, klagt Schmutzer.

Bauer macht auch seinem Unmut über die Reaktionen der Wohlfahrtsverbände auf Bundes- und Landesebene Luft. Statt deutlicher Kritik an der Reform kam da sogar Lob. So hat etwa der Präsident des Diakonischen Werks in Deutschland den Koalitionsbeschluss zur Pflegereform begrüßt. Bauer sagt, nach jahrelangen Nullrunden an der Pflege-Basis müssten sich die eigenen Leute auf Landes- und Bundesebene fragen lassen, wie sie sich ihre Gehaltsentwicklung künftig vorstellen, wenn das jetzt Beschlossene bis 2015 reichen soll. Die Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge sei unzureichend, "das ermöglicht nur ein kurzes Luftholen, bevor man wieder unter Wasser getaucht wird".

Die meisten Probleme sind nach den Worten von Gerhard Prölß, Abteilungsleiter Altenhilfe bei der Inneren Mission, ungelöst. "Das Pflegegeld bleibt auf Niedrigststand, die häusliche Pflege wird dadurch nicht gestärkt." Es gebe keinerlei zukunftsweisende inhaltliche Vorgaben. Mit 200 Euro pro Monat seien demente Menschen, die täglich Begleitung im Alltag benötigen, nicht angemessen zu versorgen.

© SZ vom 28.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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