S-Bahn-Knigge:Die lieben Lokführer

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"Wie sag ich's meinem Fahrgast?" - vor diesem Problem stehen S-Bahn-Zugführer Tag für Tag bei Pannen und Verzögerungen. In der hauseigenen Höflichkeitsschule lernen sie, wie's geht.

Von Dominik Hutter

Einfach fies, das Szenario: Stammstrecke fast dicht, eine S 6 wird in Pasing irrtümlich aufs falsche Gleis gelotst - Weiterfahrt nur möglich über den (sonst S-Bahn-losen) Südring. Das totale Chaos also. Der Mann auf dem Stuhl, der gerade erst von dem Schlamassel erfahren hat, schluckt. Kurze Pause. Dann sagt er ins Mikrofon: ¸¸Verehrte Fahrgäste, wegen einer Betriebsstörung fährt diese S-Bahn ohne Halt zum Ostbahnhof. Reisende Richtung Innenstadt bitte in die S 8 auf Gleis 5 umsteigen." Mikro aus, Applaus. ¸¸Wie war es?", fragt Rainer Wahlster. Und aus der 14-köpfigen Runde sprudelt Lob wie: ¸¸Alle Infos drin", ¸¸freundlicher Tonfall", ¸¸Alternativen mitgeteilt".

Sachlich, höflich, umfassend - die ideale Ansage in der S-Bahn (Foto: Foto: dpa)

¸¸Wir sind alle Fahrgäste", lautet das Denksport-Motto von Kursleiter Wahlster im Ansagetraining. Und: ¸¸Es gibt keine perfekte Durchsage." Menschlich muss sie sein, komplett und glaubwürdig. Utting am Ammersee, ein Tagungsraum im Souterrain eines Hotels: Hier sitzen, Ferien ausgenommen, seit Februar vergangenen Jahres jeden Montag und Dienstag S-Bahn-Lokführer und trainieren. Durchsagen, höfliches Verhalten auch dem tobenden Fahrgast gegenüber, Deeskalation. ¸¸Anfangs muss man schon Hemmungen überwinden", gibt Kursteilnehmer Roy Kandler zu. Hemmungen, auf einem Stuhl vor versammelter Gruppe in ein Mikrofon zu sprechen. Hemmungen, beim Rollenspiel in die Position des Fahrgasts zu schlüpfen.

Fahrgast-Perspektive - darauf kommt es besonders an, betont S-Bahn-Betriebsleiter Jan Görnemann. Weil eben nur Eisenbahner wissen, was eine ¸¸BÜ"-Störung ist. Der auf Schienen alltägliche Abkürzungs-Slang hat daher in einer Ansage nichts verloren - das Wort Bahnübergang muss ausgesprochen werden.

Wenig verantwortungsvoll wäre es hingegen, eine ¸¸Bombendrohung" über Mikrofon weiterzugeben - auch wenn sie gar nicht den Zug, sondern zum Beispiel das Flughafen-Terminal betrifft, das deshalb nicht angefahren werden kann. Mit einem ¸¸Polizeieinsatz" begründet ein Lokführer daher die von Kollegen erfundene Betriebsstörung. Und wird dafür ausdrücklich gelobt.

Klar, dass der Fahrgast-Kontakt nicht nur aus Ansagen besteht. Lokführer sind meist die ersten, die bei Betriebsstörungen und Verspätungen ihr Fett abbekommen - obwohl sie in den seltensten Fällen etwas dafür können. Michael Sigl etwa wurde schon einmal pampig angeredet, nur weil er das Abfahrtsgleis der nächsten S 5 nicht wusste. Und Roy Kandler bekam es mit einem höchst erbosten Fahrgast zu tun, weil die Haltestellenanzeige im Waggon nicht richtig funktionierte. Und dann? ¸¸Mit Freundlichkeit den Wind aus den Segeln nehmen", lautet Sigls Konzept.

Dennoch sind viele Fahrgastbeschwerden berechtigt, das weiß auch Görnemann, der sich selbst schon im heißen Herbst 2003, als das muckende Stellwerk Ostbahnhof für wochenlanges Chaos sorgte, über mangelnde Information geärgert hat. Damals kam ihm die Idee, seine 600 Lokführer in Fahrgastbetreuung zu schulen - ein bahnweit neuer Einfall, der inzwischen auch in Berlin und Nordrhein-Westfalen kopiert wird. ¸¸Die meisten haben niemals gelernt, wie man eine gute Ansage macht - wie sollen wir es da plötzlich verlangen?" Die meisten Eisenbahner seien in erster Linie Technik-Freaks, und in vielen Bahn-Bereichen kommt man ja auch gar nicht mit Fahrgästen in Berührung. Im Fernverkehr etwa, wo diese Rolle der Zugführer übernimmt. Oder wenn man wie Michael Sigl auf Güterzügen gelernt hat. Immerhin: Seit 2002 gehört die Fahrgastbetreuung zur regulären Ausbildung bei der S-Bahn. Görnemanns Faustregel: ¸¸Ein Drittel Betrieb, ein Drittel Technik, ein Drittel Kundendienst".

Für die Lokführer hat das Treffen in Utting auch eine persönliche Komponente. Denn anders als bei einem Bürojob bekommt man im S-Bahn-Führerstand seine Kollegen nur selten zu Gesicht - das obligatorische Grüßen von Zug zu Zug einmal ausgenommen. Am Ammersee kann man abends auch einmal ein Bier zusammen trinken. Und mit der Chef-Riege plaudern, die zu jedem Kurs einen Vertreter vorbeischickt - die Geschäftsführer Heinrich Beckmann und Michael Wuth waren schon da, ebenso Betriebsleiter Görnemann, Werkstatt-Chef Michael Werner oder Chef-Planerin Regina Steger. Denn der S-Bahn steht in wenigen Monaten die wohl einschneidendste Veränderung seit 1972 bevor - die Komplett-Umstellung des Liniensystems. Da wird man wieder einige Fahrgast-Kontakte haben.

© SZ vom 26.07.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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