Reginald Temu:Spreche ich Kisuaheli?

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Reginald Temu aus Tansania ist der Beweis dafür, dass sich Bayern und Ostafrikaner viel zu sagen haben: Seine Eselsbrücken halfen schon Schauspielerin Juliane Köhler.

Agnes Fazekas

"Hamjambo", sagt der Mann im Sakko. Er trägt eine Brille mit Goldrand und seine Haut ist einige Nuancen dunkler, als die der jungen Leute vor ihm an den Tischen. "Hatujambo", murmeln sie zurück - fast fragend klingt das. Es ist Dienstagabend und die Studenten im Seminarraum wollen Kisuaheli lernen - die am weitesten verbreitete Sprache in Ostafrika. Ihr Lehrer heißt Reginald Temu und fragt gerade die Begrüßungsformeln ab.

Nur fürs Foto guckt Kisuaheli-Lehrer Reginald Temu einmal streng. (Foto: Foto: Agnes Fazekas)

Nun sollen sich seine Schüler einen adretten Mann vorstellen: "Shikamoo", spricht Temu vor und schickt ein keckerndes Lachen hinterher. Die Eselsbrücke funktioniert: Mit dem Bild eines "schicken Mo" vor Augen fällt es leicht sich zu merken, wie ehrwürdige Herren in Tansania begrüßt werden wollen. Auf die Frage, wie er denn nach Deutschland kam, prustet der rundliche Herr: "Mit dem Esel, was denkst du denn?" Die Stimmung im Sprachkurs ist gelöst. Temu weiß, wie er seine Studenten nehmen muss.

Vom Kilimanjaro in die DDR

Seit 23 Jahren gibt er Kurse an der Müncher LMU - eigentlich aber ist er Bauingenieur. Aufgewachsen in einem Dorf am Fuße des Kilimanjaro, brachte ihn ein Stipendium zum Studieren nach Dresden. Ganz genaue Vorstellungen hatte er von diesen Deutschen. Temus Vater war Soldat im ersten Weltkrieg und erinnerte sich an "harte Burschen". Trotzdem ist er begeistert von den Reiseplänen seines Sohns. Und dieser will kein Dorf-Lehrer werden, er will weiterkommen.

Mit hohen Erwartungen im Gepäck fliegt Temu in die damalige DDR - und wird erst einmal schwer enttäuscht: Es gibt wenig Hochhäuser und viele Bäume und die Deutschen müssen nicht nur selbst arbeiten, manche von ihnen kehren sogar die Straße. "Dann habe ich schon gesehen, dass diese Kerle schuften müssen." Wenn Temu redet, dann gluckern die Worte ganz schnell aus seinem Mund heraus. Und wenn er sich nicht über sich selbst lustig macht, dann ist ein Seitenhieb auf Klischeevorstellungen dabei - deutsche wie afrikanische.

Als Temu nach Tansania zurückkehrt, versucht der damalige Präsident Julius Nyerere gerade einen afrikanischen Sozialismus einzuführen und landet damit fast im Wirtschaftskollaps - das Lohnverhältnis ist entsprechend schlecht. Also geht Temu wieder nach Deutschland. Hier bietet sich ein Aufbaustudium in München an. Temu kommt gerade recht zum Oktoberfest und macht sich gefasst auf die "kapitalistischen Blutsauger" in den Bierzelten. Als er keine einzige Mark ausgeben muss, weil er ständig eingeladen wird, ist auch das West-Klischee dahin, das er aus der ehemaligen DDR mitgenommen hat. Allerdings hat Temu mit der Ellenbogenmentalität an der Uni zu kämpfen.

Dem Ingeniör ist nichts zu schwör

Was ihn nach seinem Abschluss dann noch in München hält? Natürlich die Liebe. Inzwischen hat der junge Tansanier eine deutsche Studentin kennengelernt und mit ihr eine Familie gegründet. Die berufliche Situation in seiner Heimat bleibt schwierig und die Temus in Bayern. Als ihm vorgeschlagen wird, Kisuaheli-Kurse anzubieten, ist er erst nur mäßig begeistert. Als Bauingenieur fällt es ihm schwer, die komplexe ostafrikanische Nationalsprache zu vermitteln. Ungewohnt sind den Münchnern Grammatik-Klassen und blumige Redewendungen. Da gibt es zum Beispiel eine Klasse für Bäume, Insekten und Menschen, eine andere Grammatikstruktur deckt "längliche Gegenstände" ab. Der Zeitbegriff ist afrikanisch und der Sprachwitz sowieso.

Aber Temu boxt sich durch. Eine leichte Übung nach den widersprüchlichen Formalitäten, um an eine Aufenthaltsgenehmigung zu kommen oder der Herausforderung, eine Wohnung zu finden: "Als Afrikaner steht man ganz unten auf der Skala der Vermieter."

Dabei sei es ihm selbst noch gut ergangen in den vierzig Jahren, die er inzwischen hier lebt. Temu kann sich sehr gut artikulieren - und er denkt an die, denen das schwerfällt. Deswegen gründete er mit Freunden den Afrika-Verein, der die Community in München stärken, West- und Ostafrikaner zusammenbringen soll. Er setzt sich regelmäßig mit Polizei, Zoll und dem Oberbürgermeister zusammen, um die Situation afrikanischstämmiger Münchner zu verbessern.

Beitrag zur Völkerverständigung

Nun wird es kompliziert für die Schüler. Sie sollen Verben konjugieren und in die absurdesten Sätze einbauen. In Temus Unterricht essen schon mal die Bäume zu Mittag oder eine Schwester verrichtet "Saufarbeit". Denn auch wenn der Wortschatz noch dürftig ist, seine Schüler sollen sprechen. Eine Falle lauert in dem unschuldigen Wort "trinken". Falsch ausgesprochen lande man sinngemäß im Klo, erklärt der Lehrer und seine Mundwinkel zucken. Während die Studenten sich mit den langsilbigen Worten abmühen, wechselt der Ausdruck auf Temus Gesichts zwischen Lehrerstolz und freundlichem Spott. "Ich will sie für Afrika begeistern - eigentlich für Ostafrika, genauer: Tansania", kichert Temu. Dann wird er ernst: "Das ist mein Beitrag zur Völkerverständigung, die jungen Leute sind noch beweglich."

Beweglich ist auch Temu. Der Afrika-Verein und die Kurse genügen ihm nicht, er organisierte auch noch den "Deutsch-Tansanischen Freundeskreis". Es ärgert ihn nämlich, dass viele Kirchengemeinden eine Partnerschaft mit Afrika pflegen, aber alle "ihr eigenes Süppchen kochen". Der Freundeskreis soll die Projekte koordinieren, den Erfahrungsaustausch unterstützen und die Gemeinden dazu anregen, sich vor Ort mit Material auszuhelfen. "Aber nicht so ein Unsinn: Das ist jetzt ein christlicher Traktor, den muss man nicht bezahlen", sagt Temu. Nebenbei veranstaltet der Verein jährlich zwei Feste in der Josefskirche. "Alle Menschen sind herzlich eingeladen", sagt Temu, "ob sie uns mögen oder nicht".

Privatunterricht für Juliane Köhler

Als Münchens erste Kisuaheli-Instanz hat Temu auch an einigen Filmen mitgewirkt. Beispielsweise an Caroline Links oscarprämiertem Kino-Epos "Nirgendwo in Afrika". Wochenlang unterrichtete er hierfür die Schauspielerin Juliane Köhler in Kisuaheli und Landeskultur. "Eine sehr interessante Frau", findet Temu.

In ein paar Jahren soll es vielleicht endgültig zurück gehen, nach Tansania. Wird er dann erst einmal den Kilimanjaro besteigen? Temus Augen blitzen spöttisch, als er sagt: "Ich war noch nie da oben, die Luft ist dünn, es ist kalt - man muss da nicht hinauf."

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