Ratzingers Bruder:"Dermatscht von den Ereignissen"

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Sie wurden zusammen zu Priestern geweiht und haben gemeinsam Räuber und Gendarm gespielt. Wie Bruder Georg auf die Papstwahl seines Bruders reagiert hat.

Von Rudolf Neumaier

Sepp oder gar Bepperl hat er ihn nie genannt. Höchstens Giuseppe - zu der Zeit, als Joseph nach Rom ging in die Kurie. Und das war dann halt scherzhaft. "Giuseppe, wart' amal", sagte Georg Ratzinger, wenn sein Bruder zu Besuch war.

Wenn sie zu zweit durch die Gänge des Domspatzen-Internats schritten, und wenn ihnen ein Bub begegnete, den Georg seinem Bruder, dem Kardinal, vorzustellen für würdig hielt. "Schau Joseph, das ist der Soundso aus Soundso, seine Oma ist eine recht liebe Frau."

Er, Georg, der Domkapellmeister, der Chef der Regensburger Domspatzen, der musikalischste Spross der drei Ratzinger-Geschwister, ist seinem drei Jahre jüngeren Bruder dem äußeren Anschein nach stets mehr mit der Würde von zwei Priestern begegnet als mit brüderlicher Kumpelhaftigkeit.

Ergriffen, aufgewühlt, überwältigt

Man sieht den Brüdern an, dass sie zusammen zu Priestern geweiht wurden. Man merkt ihnen jedoch weniger an, dass sie mal zusammen Räuber und Gendarm gespielt haben könnten.

Georg Ratzinger, der frühere Domkapellmeister von Regensburg, war ergriffen. Aufgewühlt. Überwältigt. Oder: "A bissl dermatscht von den Ereignissen", wie seine Haushälterin am Telefon sagte.

Der Prälat hatte die Übertragung im Fernsehen verfolgt. Grauer Rauch, weißer Rauch, Glockenklang - Habemus Papam. Und dann erscheint sein Bruder, der ihm physiognomisch in den letzten Jahren immer ähnlicher wurde, auf dem Bildschirm und spricht als Benedikt XVI. den Segen Urbi et orbi.

Für einen tief gläubigen Katholiken, der in seinen Ansprachen zur weihnachtlichen Bescherung vor seinen kleinen Sängern oft zu Tränen gerührt war, muss das kaum auszuhalten gewesen sein.

Georg Ratzinger ist 81 Jahre alt, täglich liest der Prälat und Ruhestandspriester im Kollegiatstift am Kollegiatstift St.Johann noch die Messe.

In den Tagen vor dem Konklave ließ er sich einvernehmen, es sei einem Mann im Alter seines Bruders wohl kaum mehr zuzumuten, ihn mit der so schweren Bürde des Papstamtes zu betrauen. Nein, Joseph werde bestimmt nicht Papst, sagte er. Andererseits: Hätte er groß für seinen Bruder die Werbetrommel rühren und Hoffnung kundtun sollen? Georg Ratzinger ist ein Mensch, der eher zum Tiefstapeln neigt.

Und nun? Ob er in die Kurie ziehen oder in Regensburg bleiben wird, um die Familiengrabstätte in Pentling zu pflegen? Ob ihn sein Bruder, Benedikt XVI., weiterhin alle paar Tage anrufen wird aus Rom, oder aus irgendeinem Land, das er gerade bereist?

Nur so viel steht wohl fest: Joseph wird seinen älteren Bruder nicht wie bisher vier Mal im Jahr besuchen können.

Und dass Georg Ratzinger den neuen Papst weiterhin Joseph nennen wird, nicht Benedikt, dürfte auch sicher sein. So viel brüderliche Kumpelhaftigkeit muss sein.

© SZ vom 20.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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