"Radikal Jung"-Festival:Basar der Utopien

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Es ist eine kalte, zornige Welt: Beim Festival "Radikal jung" spiegeln acht ungewöhnliche Regiearbeiten die Tendenzen im Theater wider.

Petra Hallmayer

Es ist eine kalte Welt. Die Bühne ist mit Schnee bedeckt in Alice Buddebergs Hedda-Gabler-Inszenierung, mit der sie das Festival "Radikal jung" eröffnet. Acht außergewöhnliche Regiearbeiten erwarten die Zuschauer nun im Volkstheater, darunter Johannes Schmits Sacher-Masoch-Reflexion "Im Pelz", Anna Bergmanns Geschlechtertravestiekomödie "Ernst ist das Leben" und Lilli-Hannah Hoepners Uraufführung "Himmelangst", in der drei iranische Flugbegleiterinnen mit Barack Obama auf dem Teheraner Basar landen.

Aus 40 Aufführungen hat die Jury, bestehend aus der Schauspielerin Annette Paulmann, dem Kritiker C. Bernd Sucher und Festivalleiter Kilian Engels, ihre Favoriten bestimmt - eine subjektive Auswahl, die zugleich aktuelle Tendenzen im Theater spiegelt. Es wäre sicher absurd, jedes Jahr ein neues Generationenlabel zu kreieren. Trotz der sehr unterschiedlichen Handschriften aber sieht Engels eine frappante Gemeinsamkeit: "Fast alle Regisseure zeigen Individuen in der Krise. Das Erstaunliche ist, dass sie dabei auch die Vitalität des Individuums feiern, in einer utopielosen Zeit die Krise als Chance zur Veränderung begreifen."

Als Regieentdeckung und Riesentalent gilt der Jüngste im Reigen. Der 26-jährige Antú Joao Romero Nunes, Sohn eines Portugiesen und einer Chilenin, vergegenwärtigt mit zwei Erzählern und Akteuren Schillers Romanfragment "Der Geisterseher", in dem ein Prinz in Venedig in ein gruseliges Intrigennetz und eine existenzielle Krise taumelt.

Als "ganz großes Kino" pries ein Kritiker die am Berliner Maxim Gorki Theater entstandene Diplominszenierung, ein "kleines Juwel" nennt sie Kilian Engels: "Sie entfaltet einen unwiderstehlichen Sog und macht den Text im Theater wirklich erfahrbar." So zeigt Nunes Schillers Séance als Magie-Show, in der "wir, das aufgeklärte Publikum - wie der junge Prinz - verzaubert, verwirrt, desillusioniert und enttäuscht werden."

Mit nur einem Schauspieler entführt Bastian Kraft auf eine Phantasiereise. In seiner Kafka-Adaption des Thalia Theaters schickt er Karl Roßmann in einer gläsernen Kabine als widerständig hoffnungsvollen Verlierer nach "Amerika", in einen brutalen Hire-and-fire-Kapitalismus.

Schon zum dritten Mal ist Simon Solberg zu Gast, dessen Dresdner Version von "Romeo und Julia" dem Festivaltitel am ungebrochensten entsprechen dürfte: ein rasanter, wütender, mit Pop- und Filmzitaten aufgeladener, an Energie und Action praller Shakespeare-Trip.

"Radikal jung - Das Festival junger Regisseure", Fr., 9., bis 16. April, Volkstheater, Brienner Straße 50, Tel.: 089/523 46 55

© SZ vom 08.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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