Prüfleitfaden für Pflegeheime:Besuch bei alten Damen

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"Zwangsberieselung" trotz Kontrollen: Sozialministerin Christine Haderthauer kritisiert die Bewertung von Pflegeheimen nach Schulnoten.

Sven Loerzer

Der Blick von Christian Müller geht zur Wand. Ja, der Kalender zeigt tatsächlich das aktuelle Datum, was ganz offenbar nicht in jedem Senioren-Pflegeheim selbstverständlich ist. Müller, Mitarbeiter des Sozialministeriums, hat den geschulten Blick der staatlichen Heimaufsicht, die bei der turnusmäßigen Prüfung auch auf kleine Nachlässigkeiten achtet. Denn sie können viel über den Umgang mit alten Menschen aussagen.

Sozialministerin Christine Haderthauer betreibt bei einem Besuch im Heim des Diakoniewerks in der Heßstraße in München Gymnastik. (Foto: Foto: Alessandra Schellnegger)

Sieben Frauen sitzen um den Tisch im Aufenthaltsraum des Wohn- und Pflegeheims des Diakoniewerks München-Maxvorstadt in der Heßstraße, als Müller zusammen mit Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) erscheint, um zu demonstrieren, worauf die Heimaufsicht bei der Kontrolle achtet. Zum Beispiel darauf, ob die Bewohner der "Zwangsberieselung" durch den Fernseher ausgesetzt sind, was nicht selten vorkommt.

Im Heim an der Heßstraße spielt gerade ein Zivildienstleistender vom Verein "Soziale Betreuung durch Musik" auf der Geige, eine Pflegerin bemüht sich, jene, die es noch können, zum Mitsingen zu motivieren: "Alle Vögel sind schon da." Die fremden Besucher aber sind schon ein Zimmer weiter, und Ministerin Haderthauer sucht das Gespräch mit Hans-Joachim Lehmann, 79: "Schön haben Sie es hier." Er teilt sich seit vier Wochen ein Doppelzimmer mit seiner Frau Erika, 80, die gerade auf Rehabilitation ist. Zwei Pflegebetten, ein Tisch, zwei Stühle, ein Fernseher, ein paar persönliche Bilder an der Wand, verblassende Erinnerung an frühere Zeiten.

Prüfleitfaden für Heime sichert Lebensqualität

"Unseren 55 Jahre alten Hausstand aufzulösen, das war schwierig", sagt Lehmann. Angehörige sind keine mehr da, "wir beide sind die letzten". Auf dem Weg zur Seniorengymnastik begrüßt die Sozialministerin Brigitte Albath, 85, und Frieda Hauer, 86, bevor sie dann in der Runde an einigen Übungen mit einem roten Gummiband teilnimmt. Das Dehnen des Bandes mit gestreckten Armen, sagt sie danach, "muss ich mir merken, es hilft gegen ein steifes Kreuz".

Mit dem Kurzbesuch will Haderthauer noch einmal auf den "von Praktikern für die Praxis entwickelten bayerischen Prüfleitfaden" hinweisen, wie sie anschließend erläutert. Die umfangreiche Kontrolle der Heimaufsicht orientiere sich an der Lebensqualität für den Bewohner. Das Schulnoten-Bewertungssystem der Pflegekassen erfasse vor allem Strukturen und habe erhebliche Mängel: "So kann eine schlechte Bewertung bei der Flüssigkeitsversorgung von Bewohnern mit der regelmäßigen Teilnahme des Personals an Erste-Hilfe-Kursen ausgeglichen werden." Das führe im Ergebnis zur Verschleierung. Die von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) angekündigte Nachbesserung sei nur eine "Feigenblattaktion".

Eva-Maria Matzke, Vorstand im Diakoniewerk, kündigte an, dass die neuen Prüfberichte der Heimaufsicht künftig im Internet veröffentlicht werden sollen. Der städtische Altenheimträger Münchenstift ist schon vorangegangen und hat die Berichte sogar in seinen Heimen ausgehängt.

© SZ vom 21.04.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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