Prozess um Weißwurst:"Wo kämen wir da hin!"

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Vor dem Bundespatentgericht in München geht es um die Wurst und die Frage: Darf die Münchner Weißwurst auch aus Nürnberg oder Polen stammen?

Otto Fritscher

Es ist sehr, sehr selten, dass sich Evi Brandl öffentlich äußert. Wenn es etwas zu sagen gibt, erledigt das meistens ihr Sohn Markus Brandl. Doch diesmal ist es die Sorge, die die Senior-Chefin der Münchner Großmetzgerei Vinzenz-Murr umtreibt, die Sorge um die Münchner Weißwurst. "Es darf doch nicht sein, dass die eines Tages in Polen oder Tschechien hergestellt und dann bei uns als Münchner Weißwurst verkauft wird", sagt Evi Brandl der SZ. Und fügt hinzu: "Wo kämen wir denn da hin!"

Gegenstand des Streits: die Münchner Weißwurst. (Foto: Foto: AP)

Ja, wohin? Ob dies sein darf oder eben nicht, das ist die Frage, mit der sich am Montagvormittag der 30. Senat des Bundespatentgerichts beschäftigt. Roland von Falckenstein ist der Vorsitzende Richter dieses auch "Markenbeschwerdesenat" genannten Gerichts. Es wird während der Verhandlung schnell deutlich, dass er sich nicht auf die Vorträge der Beschwerdeführer und das Studium dicker Akten verlassen will, sondern sich selbst sachkundig gemacht hat - wohl in Supermärkten oder diversen Metzgereien.

"Schweinefleisch ist drin, und auch Speck ist schon auf der Verpackung als Bestandteil angegeben worden", erklärt er. Dabei sollten doch in einer original Münchner Weißwurst mindestens 51 Prozent Kalbfleisch enthalten sein. Das ist nicht nur die Meinung der "Schutzgemeinschaft Münchner Weißwurst", sondern so steht es auch einem Beschluss des Münchner Stadtrats aus dem Jahr 1972.

Damals, im Jahr der Olympischen Spiele, sollte die Qualität dieses Münchner Kulturguts festgeschrieben - und Nachahmer draußen gehalten werden. Also wurde unter anderem der Kalbfleischgehalt geregelt und festgelegt, dass eine Münchner Weißwurst nur aus der Stadt oder dem Landkreis München kommen darf.

Ein sehr theoretischer Beschluss, denn aktuell werden zwischen 70 bis 90 Prozent aller Weißwürste, die als Münchner Weißwürste auf den Markt kommen, eben nicht in München, sondern meistens anderswo in Bayern hergestellt. Markus Brandl kennt sogar einen Fall, dass eine Münchner Weißwurst aus Österreich kommt. So ist vor sieben Jahren die "Schutzgemeinschaft Münchner Weißwurst" gegründet worden , damals noch im Beisein des Gastronomen und Löwen-Präsidenten Wildmoser.

Die Schutzgemeinschaft hat heute 60 Mitglieder, darunter 15 Weißwurst-Hersteller, aber auch bekannte Wirtshäuser wie den Spöckmeier und das Hofbräuhaus. Sie will erreichen, dass die Münchner Weißwurst keine "Gattungsbezeichnung", sondern eine "geographische Herkunftsangabe" ist, wie die Juristen unterscheiden. Eine Frage, über die seit sieben Jahren schon gestritten wird. Es geht um die Wurst, im wahrsten Sinne des Wortes.

Vor drei Jahren hatte die Schutzgemeinschaft einen Etappensieg errungen, als das Bundespatentgericht entschied: Ja, eine Münchner Weißwurst muss aus München kommen. Vorausgegangen waren langwierige Prüfungen und Befragungen. "Es gab zahllose Expertisen", erinnert sich Markus Brandl. Doch vor allem die Meinung des vielzitierten "Verbrauchers" war dann ausschlaggebend: Wer im Supermarkt oder beim Metzger eine Münchner Weißwurst kauft, glaubt auch, dass diese aus München kommt - so die vorherrschende "Verkehrsauffassung", wie es im Juristen-Deutsch heißt.

Das rief die Gegenseite auf den Plan, es kam zum Streit innerhalb der Metzgerschaft: Das bayerische Fleischerhandwerk verklagte die Münchner Schutzgemeinschaft, denn - salopp gesagt - auch in Augsburg könnten die Metzger ordentliche Münchner Weißwürste herstellen.

Unterstützung finden die bayerischen Fleischer-Lobbyisten bei Produzenten, etwa der Fleischerei Kraus aus Neustadt an der Donau, den Fleischwerken Zimmermann in Thannhausen, der Firma H. Kupfer & Sohn GmbH in Heilsbronn, der Sieber Gesellschaft für Wurst- und Schinkenspezialitäten aus Geretsried und dem Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie. Das sind die Beschwerdeführer, die an diesem Montag ihre Vertreter im Gerichtssaal an der Cincinatti-Straße haben aufmarschieren lassen.

"Auf etlichen Verpackungen steht ja Original Münchner Weißwurst", erklärt ein Beschwerdeführer dem Vorsitzenden Richter, während Produkte, die von sonst woher stammen, auf den Vornamen "Original" verzichten. Die Stühle der Schutzgemeinschaft bleiben an diesem Vormittag unbesetzt. "Wir haben unsere Argumente oft und öffentlich vorgetragen", sagt Brandl. Eines davon lautet, dass es ja auch keinen Original-Champagner und einen Champagner im Handel gibt. Denn auch die Edel-Getränk ist durch eine geographische Herkunftsbezeichnung geschützt, ebenso wie Parma-Schinken oder Nürnberger Bratwürstl.

Ein anderes Argument der Beschwerdeführer lautet: Auch auf "Original-Münchner-Weißwurst-Verpackungen" wird mit einem weiß-blauen Rautenmuster geworben, was ja zweifellos für den Freistaat stehe, und nicht mit einem Münchner Symbol wie der Frauenkirche oder der Bavaria. Ob das ein Argument ist, das verfängt oder welcher Meinung er zuneigt, lässt der Vorsitzende Richter während der Verhandlung nicht erkennen.

Er sagt nur: "Ah, das ist ja interessant", einmal entfährt Falckenstein ein verwundertes "Ach was!" Mit solch vagen Äußerungen müssen sich die Beschwerdeführer an diesem Montag bescheiden, denn es ergeht noch kein Urteil. Das wird schriftlich zugestellt, aller Voraussicht nach im Januar.

"Wir sind guten Mutes, wir haben unsere Hausaufgaben gemacht", ist Brandl überzeugt. Und: "Wir haben so lange gewartet, da kommt es jetzt auch nicht drauf an." Sollte das Bundespatentgericht die Beschwerde abweisen und die Weißwurst patentieren, wie häufig fälschlicherweise gesagt oder geschrieben wird, wäre die Bundesregierung am Zug. Sie müsste in Brüssel die Eintragung der geographischen Herkunftsangabe beantragen. Wenn nicht, könnte die Schutzgemeinschaft die Bundesregierung wegen Untätigkeit verklagen.

Inhaltlich hat die EU jedoch kein Mitspracherecht. "Wie soll denn ein Italiener oder ein Spanier eine Münchner Weißwurst prüfen", sagt Markus Brandl. Es reicht schon, wenn die bisher in Österreich hergestellt werden dürfen - und vielleicht bald auch aus Polen oder Tschechien nach München importiert werden.

© SZ vom 09.12.2008/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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