Prozess gegen Arzt:Kein Aids-Test für die Dame

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Feine Leute haben kein Aids. So dachte ein Münchner Gynäkologe - und schlug einer HIV-positiven Schwangeren aus gutem Hause erst gar keinen Test vor. Das Baby infizierte sich bei der Geburt. Jetzt klagen die Eltern.

Ekkehard Müller-Jentsch

Axel ist sechs Jahre alt und hat das Pech, dass seine Eltern zur Münchner Oberklasse gehören. Lebte seine Mutter weniger privilegiert, vielleicht nur als Wurstfachverkäuferin mit AOK-Krankenkarte, hätte Axel heute mit größter Wahrscheinlichkeit kein Aids und wäre nicht schwer behindert. Doch in den Kreisen, in denen er zur Welt gekommen ist, gilt die heimtückische Immunschwächekrankheit selbst bei manchen Ärzten offenbar immer noch als Tabu-Thema - frei nach dem Motto: Aids gibt es nur bei Schwulen, Fixern und Randgruppen, aber doch nicht bei meiner feinen Klientel.

Das Aids-Virus (Foto: Foto: dpa)

Diese Standesdünkel eines Gynäkologen mit Praxis in allerfeinster City-Lage ist dem Jungen zum Verhängnis geworden. Jetzt kämpfen seine Eltern vor dem Landgericht MünchenI um Schadenersatz und Schmerzensgeld.

Die Mutter des Buben, den wir hier Axel nennen, muss schon viele Jahre vor ihrer Schwangerschaft HIV-positiv gewesen sein. Sie, eine leitende Angestellte, hatte davon jedoch keine Ahnung, es gab nie die geringsten Anzeichen. Und ihr Ehemann, ein Wissenschaftler, ist zweifelsfrei unbelastet.

Auf Grund ihres sozialen Umfeldes und ihrer gepflegten Erscheinung habe er keinerlei Anlass gesehen, seiner Patientin einen HIV-Test vorzuschlagen, sagte der Gynäkologe später vor Gericht. Bei seiner feinen Klientel habe er vielmehr die Entrüstung über die Unterstellung gefürchtet, die man in solch einem Test-Angebot erblicken könnte.

Weil die Mutter und die Ärzte nichts von dem aufziehenden Unheil ahnten, gab es keine spezielle medizinische Betreuung während der Schwangerschaft. Axel kam durch Kaiserschnitt auf die Welt und wurde anschließend gestillt. Dann setzte jedoch ein rapider gesundheitlicher Verfall des Babys ein, den sich die Ärzte zunächst nicht erklären konnten. Erst sehr spät dämmerte einer Klinikärztin, dass Aids im Spiel sein könnte. Doch da war es schon zu spät: In Folge der ausgebrochenen Erkrankung hat das Kind heute schwere geistige und körperliche Behinderungen.

Dieses Schicksal hätte Axel jedoch mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit erspart bleiben können. Nach Angaben des Robert-Koch-Institutes in Berlin ist eine HIV-Infektion des Kindes bei den 250 bis 280 Schwangerschaften, die in Deutschland derzeit pro Jahr bei bekannt infizierten Frauen ausgetragen werden, extrem selten.

Schutz vor der Viren-Last

Denn wenn die Ärzte Bescheid wissen, kann die Mutter medikamentös so behandelt werden, dass sich ihre Viren-Last nicht auf das Kind überträgt. Zudem wird das Kind durch eine spezielle Kaiserschnitt-Technik entbunden, bei der es mit dem Blut der Mutter nicht in Berührung kommt. Zudem darf der Säugling keinesfalls durch die Mutter gestillt werden.

Axels Eltern sind völlig verzweifelt darüber, dass ihr Kind hätte gesund auf die Welt kommen können, hätte der Arzt getan, was für nahezu jeden Kassenarzt eine Selbstverständlichkeit ist: Der Schwangeren einen HIV-Test anzubieten, so wie er auch in den Mutterschaftsrichtlinien der Krankenkassen vorgegeben ist. Rechtsanwältin Beate Steldinger: ,,Selbstverständlich hätte meine Mandantin diesen Test machen lassen, so wie auch all die anderen, die ihr vorgeschlagen wurden.''

Weil der beklagte Gynäkologe den HIV-Test nach wie vor nicht für selbstverständlich hält, ließ die 9. Zivilkammer eine Umfrage bei allen 378 niedergelassenen Gynäkologen in München vornehmen. Das Ergebnis: Annähernd alle Fachärzte hätte sowohl damals und erst recht heute den Test auch bei einer Patientin aus ,,feinen Kreisen'' vorgeschlagen.

Da aber eine statistische Unsicherheit besteht, ob Axel nicht auch unter optimalen Bedingungen infiziert zur Welt gekommen wäre, wollte das Gericht die Klage schon abweisen. Es ließ sich dann aber von der Anwältin und den Eltern überzeugen, dass alle ,,Ausreißer'' stets infolge spezieller Risikoschwangerschaften passiert sind. Jetzt soll ein Gutachter klären, wie hoch speziell bei Axel die Wahrscheinlichkeit gewesen wäre, dass das Kind heute gesund sein könnte (Az.:9O14628/04).

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