Proteste im öffentlichen Dienst:"Gerade genug zum Überleben"

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Eine Politesse, ein Pfleger, ein Beleuchter und ein Straßenwärter erklären, warum sie sich am Streik beteiligen.

Steffen Heinzelmann

Für die einen dreht sich alles um dreieinhalb Stunden Mehrarbeit. "Für die streikenden Menschen geht es aber um viel Geld und die Würde am Arbeitsplatz", betont Heinrich Birner, Geschäftsführer von Verdi München. Mit der Gewerkschaft der Polizei stellte Verdi deshalb Teilnehmer der Proteste vor. Vier Gesichter und Meinungen zum Streik.

Politessen kassieren kräftig ab - in der eigene Tasche landet aber nur wenig. (Foto: Foto: dpa)

Francesco Manz, 33, Pfleger in der Anästhesie am Klinikum Großhadern:

"Die Politiker vergessen bei ihren Vorwürfen an die Streikenden, dass wir Beschäftigte das Klinikum sind: Wir lindern die Schmerzen, wir geben den Kranken Hoffnung.

Und übernehmen dabei eine große Verantwortung, wenn wir die Patienten auf die Narkose vorbereiten, Spritzen geben oder Infusionen legen. Und trotzdem bleibt mir gerade genug Geld zum Überleben. Meine Kollegen und ich verdienen 1200 bis 1400 Euro netto im Monat.

Weil ich für den Arbeitsplatz extra aus dem Erzgebirge nach München gezogen bin, zahle ich damit meine Fahrten und ernähre eine Familie mit zwei Kindern."

Brigitte Wagner, 47, Politesse der Polizeiinspektion 31 (München-Westend):

"Anfangs haben sich die Falschparker vielleicht gefreut, wenn sie von uns keinen Strafzettel bekommen haben. Aber bald werden sich die Bürger ärgern, wenn Leute wild parken und Überwege versperrt sind.

Wir sind in unserer Schicht sechs Stunden lang draußen unterwegs, und uns fragt dabei niemand, ob es uns friert oder ob wir schwitzen. Ich streike, weil unsere Arbeitszeit verlängert werden soll und dann womöglich Stellen abgebaut werden. Und weil die Kürzungen an den Geldbeutel gehen.

Ich muss schauen, wie ich von 1100, 1200 Euro netto Essen kaufen kann. Und von dem Weihnachtsgeld habe ich bisher immer unser Heizöl gekauft."

Thomas Keller, 32, Beleuchter am Bayerischen Staatsschauspiel:

"Ich streike seit Mitte Februar. Da ich kein Gewerkschafter bin, bekomme ich seitdem auch kein Streikgeld. Ich lebe von Geld, das ich mir extra zurück gelegt habe. Mir geht es bei dem Protest nicht um Gewerkschaftsprogramme, sondern darum, gegen ungerechte Behandlung den Mund aufzumachen.

Wir sind doch nicht nur Zahlenmaterial in politischen Verhandlungen: Ich steuere als Facharbeiter die Beleuchtung während unserer Aufführungen, ich arbeite abends oder am Wochenende und in den heißen Probenphasen auch mal 60 Stunden in der Woche. Jetzt drohen uns praktisch ein Monat mehr Arbeit im Jahr und Lohnkürzungen.

Aber etwa 1300 Euro netto sind doch gerade in München nicht wirklich viel. Ein Kollege, für den Theater eigentlich das Leben bedeutet, meinte, nach den Reformen könne er für sein Gehalt auch Pizza ausfahren. Und zwar ohne Dienste an Sonn- und Feiertagen."

Ronny Klementz, 25, Straßenwärter der Autobahnmeisterei München Nord:

"Weil etwa 1400 Euro netto als Straßenwärter nicht reichen, arbeite ich schon in zwei Nebenjobs, um mich und meine dreieinhalb Jahre alte Tochter zu versorgen: Als Hausmeister im Kindergarten und als Fahrlehrer. Mit meinen Kollegen betreue ich als Straßenwärter viele Kilometer auf den Autobahnen A9 und A99.

Dabei fehlen uns Personal und Fahrzeuge - und es wird immer schlimmer. Auf dem Papier arbeiten wir wöchentlich 38,5 Stunden, aber bei schlechtem Wetter werden es schnell 70 bis 90 Stunden. Wir werden zwar eher im Winter wahrgenommen, sind aber auch im Sommer unterwegs und sichern zum Beispiel Bauarbeiten nachts an der Straße.

Für meine Tochter bleibt da manchmal wenig Zeit. Damit unser Streik nicht die Autofahrer gefährdet, haben beim Schneechaos Mitarbeiter desWinterdienstes geräumt und gestreut."

© SZ vom 7.3.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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