Profifußballer Andreas Biermann:"Den Stempel Depression wird man nicht mehr los"

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Der Profifußballer Andreas Biermann litt unter Depressionen, zwei Suizidversuche hat er hinter sich. Dann machte er seine Krankheit öffentlich, ließ sich behandeln - und bekam keinen Job mehr. Nun hat der 31-Jährige ein Buch geschrieben und seine Erfahrungen bei der "Münchner Woche für seelische Gesundheit" geschildert.

Christina Warta

Psychische Krankheiten sind im Leistungssport ein Tabuthema. Das musste der Fußballprofi Andreas Biermann, 31, erfahren. Biermann, der bei Hertha BSC Berlin und dem FC St. Pauli in der zweiten Bundesliga kickte, litt unter Depressionen und hat zwei Suizidversuche hinter sich. Nun hat der Leistungssportler ein Buch über seinen Leidensweg geschrieben ("Rote Karte Depression") und seine Erfahrungen bei der "Münchner Woche für seelische Gesundheit" geschildert.

Andreas Biermann, Ex-Fußballprofi von FC St.Pauli spricht in einer PK zur Woche der seelischen Gesundheit über Depression, 4.Oktober 2011,Foto : C : Stephan Rumpf (Foto: Stephan Rumpf)

SZ: Herr Biermann, wie geht es Ihnen?

Andreas Biermann: Momentan wirklich gut. Ich bin stabil und habe auch wieder positive Gefühle, die ich zu Hause mit den Kindern wahrnehme. Ich führe und spüre ein ganz normales, schönes Leben. Das verdanke ich zwei Therapien, die ich gemacht habe.

Wie war es noch vor zwei Jahren?

Da ging's mir eher bescheiden. Ich lebte seit ungefähr fünf Jahren mit den Symptomen der Depression, ohne zu wissen, was es ist. Ich hatte akzeptiert, dass das scheinbar mein Leben ist: dass ich so gefühlskalt bin und keine Lust auf nichts habe. Als Teresa Enke (die Frau von Robert Enke, des Torhüters von Hannover 96; Anm. d. Red.) nach dem Suizid von Robert berichtete, dass Robert unter Depressionen gelitten hatte, kam mir das alles sehr bekannt vor.

Inwiefern?

Ich war auch antriebslos, hatte keinen Lebensmut mehr nach einer langen Verletzung. Manchmal saß ich den ganzen Abend da und grübelte, bis Suizidgedanken aufkamen. Der Fußball spielte eine zentrale Rolle in meinem Leben, abseits fühlte ich mich minderwertig. Zwei Wochen vor dem Tod von Robert Enke hatte ich selbst einen Suizidversuch unternommen. Ich habe Abgase ins Auto geleitet, aber kurz vor dem Einschlafen noch die Tür geöffnet. Ich bin aus dem Auto gefallen, jemand hat mich gefunden.

Aber auch nach zwei Selbstmordversuchen kam niemand auf die Idee, dass Sie vielleicht unter Depressionen leiden?

Nein. Man versucht als Depressiver natürlich, nicht aufzufallen, und erzählt immer, dass alles gut ist. Da war ich perfekt drin, selbst Ärzte kann man so täuschen.

Und im Profifußball darf man ja scheinbar ohnehin nicht über psychische Krankheiten sprechen.

Das sind die Mechanismen im Fußball: Man muss immer Stärke ausstrahlen, wenn man ein Problem hat, darf man es nicht aussprechen. Doch wenn man es in sich hineinfrisst, werden die Dinge noch schlimmer. Umso besser ist es, dass es inzwischen Menschen gibt wie Ralf Rangnick und Markus Miller, die öffentlich zu ihren Problemen stehen. Das ist der einzig richtige Weg, um dauerhaft etwas zu verändern. Aber man bringt ein Opfer und verliert an Marktwert.

So war es bei Ihnen, nachdem Sie offen über Ihre Krankheit gesprochen haben.

Nach neun Wochen in der Klinik hatte ich die Hoffnung, wieder so akzeptiert zu werden wie vorher auch. Aber das war leider nicht so. Der Vertrag bei St. Pauli wurde nicht verlängert, wobei das aufgrund der Verletzungen, die ich hatte, okay war. Ich hätte mir nur gewünscht, dass man ehrlich mit mir umgeht. Ich wurde gefragt, was ich mir in Zukunft vorstellen könnte. Ich bot an, in der zweiten Mannschaft zu spielen, in der Geschäftsstelle zu arbeiten und eine Jugendmannschaft zu trainieren. Aber das ist auf wenig Gegenliebe gestoßen.

Interessierten sich andere Vereine für Sie?

Nein, ich hab überhaupt kein Angebot bekommen. Als meine Krankheit bekannt wurde, gab es öffentliche Bekundungen, doch davon wurde leider herzlich wenig eingehalten. Manchmal habe ich mir schon gewünscht, dass wir im Verein jemanden gehabt hätten wie Uli Hoeneß, der sich vor seine Spieler stellt.

Bereuen Sie es heute, offen über Ihre Krankheit gesprochen zu haben?

In menschlicher Hinsicht nicht. Ich habe mit meinen öffentlichen Auftritten vielen Menschen helfen können und Mut gemacht, das weiß ich aus vielen E-Mails - und vielleicht habe ich dadurch ja auch jemandem das Leben gerettet. Aber in beruflicher Hinsicht war es sicherlich ein Fehler. Wer ist schon gerne zwei Jahre lang arbeitslos? Ich hatte in der zweiten Liga gespielt, also hätte ich sicherlich noch einen Dritt-Liga-Vertrag bekommen können. Doch das war nach dem Outing nicht mehr möglich. Man hat den Stempel "Depression" auf dem Kopf und wird ihn auch nicht mehr los. Man ist beruflich einfach weniger wert.

Die öffentliche Betroffenheit war nach dem Tod von Robert Enke groß, und sie ist es auch nach dem Burnout-Rückzug von Ralf Rangnick. Trotzdem hat sich langfristig bislang nichts im Profisport geändert, oder?

Jetzt gibt es wieder Respekts- oder Betroffenheitsbekundungen, genauso wie vor zwei Jahren bei Robert Enke. Aber man braucht kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass in zwei, drei Wochen wieder Alltag herrscht und dass Schwäche dann im Leistungssport wieder keinen Platz hat. Das ist scheinheilig. Um diese Mechanismen zu ändern, müsste sich der ganze Fußball ändern - und das wird nicht passieren. Die Problematik ist übrigens auch in anderen Berufen so: In den Therapien habe ich viele Personen kennengelernt, und überall, in allen Berufen, ist es das gleiche: Diejenigen, die sich mit ihrer Krankheit outen, werden woanders hinversetzt, ausgegrenzt oder ganz entlassen. Das ist nicht nur ein Fußballproblem, sondern ein Gesellschaftsproblem. Schwächen haben einfach keinen Platz, dafür gibt es keine Akzeptanz. Das ist das Traurige daran: dass man meist auf taube Ohren stößt. Es sei denn, es stirbt jemand.

Sie sind im Moment arbeitslos. Was planen Sie für Ihre Zukunft?

Ich möchte studieren und als Sportpsychologe arbeiten. Ich denke, mit meinen Erfahrungen anderen helfen zu können. Es macht mich auch etwas stolz, dass mir viele Menschen gesagt haben, wie wichtig es sei, dass ich offen mit meiner Krankheit umgegangen bin. Aber die Folge, dass ich ohne Arbeit dastehe und wir als Familie damit klarkommen müssen, das interessiert leider keinen. Aber ich hoffe trotzdem, dass Menschen, die mentale Probleme haben, den Mut finden, sich zu äußern. Durch die Masse könnte sich vielleicht doch etwas verändern.

© SZ vom 05.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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