Profi-Wiesn-Bedienung:Die Frau mit den 17 Krügen

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Volksfest ist für Sandra Söhn das ganze Jahr: Sie zieht von Festzelt zu Festzelt und lässt sich nicht mal von Grapschern die Laune verderben.

Marc Baumann

Der Ausschnitt ist gewagt. Und der Blick darauf erlaubt. Jeden Tag klebt Sandra Söhn einen kleinen Marienkäfer mehr auf ihre rechte Brust, ein großer für den ersten Wiesn-Samstag marschiert vorneweg und neun kleine folgen ihm mittlerweile schon.

Am Ende werden es achtzehn sein, das Oktoberfest dauert ja diesmal länger, und trotzdem werden alle Käfer Platz haben, denn Sandra Söhn ist eine gestandene bayerische Bedienung. Die Frau ist ein Profi.

Manchmal, wenn etwas Zeit ist, wettet sie mit den Besuchern, dass sie 17 Maßkrüge auf einmal herbeitragen kann, sie gewinnt jedes Mal. Das ist noch so ein Trick, mit dem man das Trinkgeld verbessert, genau wie die Sache mit den Marienkäfern. Man muss schon wissen, wie man mit den Menschen in so einem Festzelt umgeht.

Seit 16 Jahren arbeitet Sandra Söhn auf Volksfesten, dafür reist sie quer durchs Land, von April bis Oktober. Bedienung sein ist kein Kleinmädchentraum, dafür braucht man einen guten Grund, bei ihr war es der Führerschein. Den hat sich Sandra Söhn hart verdient, auf der Passauer Maidult, 1990 war das, und sie erst 18 Jahre alt. Für ein junges Mädchen kann so ein überfülltes Bierzelt ein unangenehmer Arbeitsplatz sein.

Rauer Ton in den Bierzelten

"Ich bin öfters weinend hinausgerannt", erinnert sich die gelernte Hotelfachfrau. "In einem Bierzelt herrscht ein rauer Ton, weil alle immer im Stress sind, aber das muss man aushalten." Den jungen Bedienungen, die in diesem Jahr das erste Mal auf dem Oktoberfest sind, geht es nicht besser als ihr damals. Schuld daran sind schon oft die Männer, "das Andatscheln", wie Sandra Söhn es nennt, die aus einem kleinen Ort im bayerischen Wald kommt.

Wer bei ihr andatschelt, der bekommt etwas zu hören und macht das kein zweites Mal. Ihr breites Lächeln verschwindet dann so schnell, wie es gekommen ist. Aber eigentlich ist sie eine Fröhliche, es kommt vor, dass sie einem zwischen zwei Maß Bier ihr halbes Leben erzählt. "Das ,Sie' gibt es im Bierzelt nicht, da wird geduzt", sagt Sandra Söhn.

Sie hört den Leuten an ihren Tischen immer mit einem Ohr zu, und wenn etwas Interessantes geredet wird, fragt sie nach. Es kann für sie nur von Vorteil sein, wenn die Stimmung am Biertisch gut ist. Ihr macht das ewige Herbeischleppen von Bier und Hendln tatsächlich Spaß, trotz Lärm und Hektik.

Nicht mal die Menschenmassen stören sie, die sich an diesem Samstag durch das Schützenzelt quetschen. "Ich bin gerne unter Leuten", sagt sie nur. Die Festzelte sind ihr lieber als die Arbeit im Wirtshaus, wo die dreifache Mutter im Winter bedient.

Das Deggendorfer Frühlingsfest war ihr erstes Volksfest dieses Jahr, dann war sie bei Pfingstfesten in Moos und in Regen, später in Bodenmais und in Zwiesel - irgendwo in Bayern steht immer ein Bierzelt. Sie war auch in Straubing und Karpfham, nach der Wiesn den größten Volksfesten in Bayern. Und sie fährt auch zu exotischen Orten.

Italienischer Wiesn-Abklatsch

In Hannover, bei der Computermesse Cebit, gibt es einen Biergarten, da hat sie den Japanern beigebracht, was Trinkgeld ist, "die kennen das nicht". Sie war auch schon in Köln, beim Oktoberfest in der Kölnarena. Eigentlich wollte Sandra Söhn dieses Jahr auch nach Italien, nach Rom, zum dortigen Wiesn-Abklatsch.

Gut, dass sie doch nicht hingefahren ist. Ihre Freundin Anita, mit der sie seit vier Jahren von Fest zu Fest zieht, war dort. Und nach nur drei Tagen wieder zurück. Die Veranstalter wollten der Mafia kein Schutzgeld zahlen, das war's dann.

Sandra Söhn kann eine Menge guter Geschichten erzählen, auch weniger schöne. Etwa, wie ihr vor zwei Jahren ein Betrunkener mit der Faust ins Gesicht geschlagen hat, weil sie ihn nicht in das überfüllte Zelt hineinlassen wollte. Zum Glück war das am letzten Wiesnwochenende, sie hat den Sonntag mit Gehirnerschütterung durchgehalten. Sie ist zäh, alle Bedienungen sind es, auch die Männer, mit denen sich die Besucher viel schneller anlegen. Und weil die Gerüchte über 15000 Euro und mehr, die gute Bedienungen auf der Wiesn verdienen sollen, gar nicht stimmen, müsste man ihnen viel öfter danken.

Nüchtern hält man es im Schützenzelt am zweiten Wiesnsamstag nicht lange aus. Vier Tische hat Sandra Söhn im Biergarten, an einem sind die Italiener, denen leider jemand Vogelpfeifen verkauft hat, am nächsten sitzen ältere Herrschaften, die sich über zu wenig Bier im Krug beschweren. Daneben bestellt ein ganzer Tisch Hendl und findet es lustig, in Zeitlupe zu bezahlen. Sandra Söhn wirkt zum ersten Mal richtig müde. Dabei hat sie doch erzählt, dass es erst Mitte der zweiten Woche anstrengend wird. Sie wird durchhalten, es ist ihr Beruf. Morgen sind es elf Marienkäfer.

© SZ vom 25.09.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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