Premiere:Armbrustical - Begierden, Biss und Bürgerblut

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Kommt ein Vampir zum Zahnarzt ... - so fangen eher mittellustige Witze an. Oder eben die Vorbereitungen zu einem ,,Spektakel um Begierden, Biss und Bürgerblut, um Heldentum und Halsschlagadern'', zum ,,weltweit ersten Armbrustical'' ,,Wilhelm Tell und die Fürstin der Finsternis''.

Hossa, was ist das denn? Schiller meets Dracula, eine gewagte Mischung. Genau der richtige Stoff für das Kreativ-Duo Alexander Liegl und Gabi Rothmüller. Nichts Geringeres als die Fortsetzung der Kult-Klassiker ,,Watzmann'' und ,,Siegfried'' haben sie sich vorgenommen - und das würde bedeuten, dass sie ihre ganz spezielle Tell-Bearbeitung nach der heutigen Premiere im Lustspielhaus noch verdammt oft spielen würden. Deshalb vorab der Gang zum Zahnarzt: individuelle, bissechte Hauer zimmern lassen statt der Plastikware aus der Karnevalsabteilung.

Severin Groebner (Foto: Foto: oh)

Denn auch bei den wochenlangen Proben steckten die Zusatzzähnchen im Gebiss: Seit Anfang Dezember übte die 13-Mann-Besatzung, verstärkt von fünf Musikern, auf dem knarzenden Holzboden einer Mini-Turnhalle im Glockenbachviertel. Mit Kreppband wurden die Abmessungen der Lustspielhaus-Bühne markiert. Auf dem Tisch neben der Brotzeit: Mistel-Weißdorn-Kapseln gegen Erkältung - krank werden geht jetzt nicht, zu viel Arbeit steckt schon im neuen Opus.

Im Vorraum schneiderte Martina Münster an der Nähmaschine aus Vorhangstoff im Apfel-Look Kostüme für Schweizer Spießbürger und düstere Umhänge für die bissigen Finsterlinge. Nebenan wirkten die Boxer des TSV 1860 München und die Mädels von der Problemzonengymnastik - ein wahrlich inspirierendes Ambiente.

Das aber nicht nötig war. Denn Liegl und Rothmüller beschäftigen sich schon lange mit Klassikern. Vor sechs, sieben Jahren waren sie zum Gastspiel ins Brixener ,,Theater Dekadenz'' eingeladen. Seitdem kommen sie immer mal wieder dort vorbei, spielen Theater, Kabarett und eine Mischung daraus - eine Form, die der schauspielernden Regisseurin Rothmüller und dem kabarettelnden Schreiber Liegl entgegenkommt.

In Brixen brachten sie zunächst eine bedingt werkgetreue Inszenierung von Schillers ,,Räubern'' auf die Bühne, wiederholten das Experiment mit einer Tölzer Laientruppe, mit denen sie sich auch an ,,Macbeth'' und Wagners ,,Ring'' versuchten. Keine Angst vor großen Namen.

Nun also der ,,Tell''. ,,Den normal zu spielen, ist eher schwierig'', sagt Alexander Liegl. Aber wenn Liegl und Rothmüller texten, klingt das nur noch entfernt nach Schiller: Wer nachts durch hohle Gassen streift, wird leicht vom Bösen eingeseift. Mit schnöder Parodie wollte man sich nicht begnügen. ,,Der Tell ist nach dem Krieg sehr oft parodiert worden'', erzählt Liegl, und da man ja auch an die eher musiklastigen ,,Watzmann''- und ,,Siegfried''-Inszenierungen anschließen wollte, musste halt eine neue Kunstform her: das Armbrustical.

Elf Songs der bewährten Band (Aron Altmann, Stephan Auer, Frank Schimann, Sebastian Hackl, Menning Liebethal) gehören zum Programm; von Polka über Bigband-Sound bis zu Italo-Western-Gejaule ist alles dabei.

Der bekannte Plot um Familie Tell erfährt eine hübsche Weiterung um die Blutsauger-Idee: für Liegl ,,eine Mischung aus Schönheit, Gefahr und Erotik - all das, was die Biedermänner, dieser Haufen kranker Dumpfbacken im schön tapezierten Eigenheim nicht sein dürfen''. Liegl selbst spielt endlich mal den Helden, allerdings ,,den schlechtesten der Welt'', wie Partnerin Gabi Rothmüller meint. Tell mag zum Verdruss der Gattin (Ruth-Claire Lederle) nicht zum Schwur und singt Heimwerker-Arien. Dass er der beste Schütze ist, kann nur daran liegen, dass sonst niemand schießt. Besieht man sich seine Waffe, ein abenteuerliches Konstrukt aus Gartenzaun- und Schaukelstuhl-Teilen, will man weder Sohn noch Apfel sein.

Statt mit bösen Habsburgern bekommen es die Schweizer mit Vampiren zu tun: Die Fürstin der Finsternis (neu im Team: Antonia Tinkhauser aus der Brixener Schauspielgruppe) hat es auf Tell junior abgesehen. Der wird von Paul Sedlmeir, dem Neffen von Christian Tramitz, trefflich gegeben. In Doppelrollen: Rothmüller und Severin Groebner.

Der war im Jahr 2000 nur durch Empfehlung eines österreichischen Kabarett-Kollegen als Bua in den ,,Watzmann'' gerutscht, um drei Jahre später im ,,Siegfried'' die umjubelte Hauptrolle zu spielen und danach als Solo-Kabarettist durchzustarten. Für den ,,Tell'' unterbricht er seine Tournee und findet es nun ,,zehnmal geiler'', mal nicht den jugendlichen Helden, sondern das Böse zu spielen - ein Fest für alle Freunde des wienernden Spargel-Tarzans.

Was noch? Nun, Todes- und Apfelschüsse, eine Vampirin, die Sonnenblumen züchtet, viel Gesang und Tanz (Steffanie von Poser, Ulrike Liegl-Kempter und Doris Greza, die auch wieder die Choreographie verantwortet). Die Eckzähne kommen aus der Praxis von Papa Sedlmeir. Sein 25-jähriger Sohn - der junge Tell - hat zugunsten der Schauspielerei nach drei Wochen das Studium geschmissen. Sein Fach: Zahnmedizin.

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