Pinakothek der Moderne:Die hässliche Fratze der Idylle

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Auf Spurensuche: Eva Leitolf fotografiert deutsche Orte, die Tatorte waren. Wenn sie abdrückt, deutet nichts mehr auf ein Verbrechen hin. Beklemmend sind die Motive trotzdem.

Kati Thielitz

Wenn sie ankommt, ist das Wesentliche schon passiert. Die Fernsehteams bauen ab, die Polizei hat die Spuren gesichert, ein Radioreporter sammelt vielleicht noch ein paar O-Töne von Passanten. Wenn sich das Geschehen lichtet, stellt Eva Leitolf das Stativ auf und macht ihre Kamera fest; sie sucht nach der richtigen Position, misst Lichteinfall und Brennweite.

Eva Leitolf fotografiert Tatorte. Wie hier nach dem Brandanschlag in Rostock-Lichtenhagen. (Foto: Foto: Eva Leitolf)

Erst, wenn sie durch den Sucher ein Bild gefunden hat, das kaum mehr Informationen über jene Gewalttat enthält, die hier geschehen ist, drückt sie auf den Auslöser ihrer Mamiya-7-Mittelformatkamera.

Eva Leitolf ist eine Spurensucherin. Akribisch, leidenschaftlich, von einer Unbedingtheit getrieben. Sie begann ihre Suche Anfang der neunziger Jahre, als sich Zeitungen und Nachrichtensendungen gegenseitig mit Bildern brennender Asylbewerberheime und randalierender Neonazis überboten. Die ausländerfeindlichen Anschläge von Rostock, Mölln und Solingen rüttelten an den Festen des gerade erst wiedervereinigten Deutschland; der Freudentaumel von 1989/90 war Nüchternheit, ungelösten Problemen, bisweilen blanker Wut gewichen.

Eva Leitolf studierte damals an der Hochschule in Essen, wo verhandelt wurde, was Fotografie im Zeitalter der Massenmedien noch leisten kann. Die Studentin verfolgte die Berichterstattung über die Anschläge aufmerksam; zunehmend wurde ihr klar, dass es nicht die Höhepunkte sein konnten, die sie als Fotografin festhalten wollte. Höhepunkt-Bilder, sagt Eva Leitolf, könnten andere Medien einfach besser.

"Ich verstehe Fotografie als Werkzeug" Für ihre Abschlussarbeit bei Angela Neuke hat sie sich deshalb auf "Spurensuche" in Rostock, Thale, Solingen und Bielefeld begeben. Herausgekommen sind stille, reflexive Bilder der Tatorte und ihrer Umgebungen, die nicht Partei ergreifen und dem Betrachter Raum lassen für eigene Gedanken, Spekulationen und Assoziationen, ohne beliebig zu werden.

"Ich verstehe Fotografie als Werkzeug, mit dessen Hilfe ich dem Betrachter andere, nämlich eigene Bilder ermöglichen will", sagt Eva Leitolf, heute 42 Jahre alt, eine hochgewachsene, schlanke Frau. In ihren neuesten Arbeiten, die die Pinakothek der Moderne jetzt zusammen mit jenen der Abschlussarbeit unter dem Titel "Deutsche Bilder - eine Spurensuche" präsentiert, hat Leitolf ihr Anliegen radikalisiert: Die Fotos zeigen idyllische, meist menschenleere Orte oder Landschaften in Deutschland.

Da ist ein Badesee, ein Fachwerkhaus, ein weißsandiger Ostseestrand. Nichts verrät mehr, dass an dem Strand eine Gruppe Jugendlicher zusammengeschlagen wurde, kein Hinweis darauf, dass in dem Schlosspark eine Hochzeitsgesellschaft verprügelt wurde. Erst die Tatbeschreibungen, die die Ausstellungsbesucher einer am Eingang ausliegenden Faltzeitung entnehmen können, klären über die Vergangenheit jener Orte als Tatorte auf. Leitolf hat dafür bei Staatsanwaltschaften und Polizeidienststellen recherchiert; sie versteht das Ganze als Bild-Text-Arbeit. Aber der Betrachter soll sich entscheiden können, wie er die Bilder wahrnehmen will. Das war ihr wichtig, und wenn es um Fotografie, ihre Arbeit und Leidenschaft geht, ist Eva Leitolf kompromisslos.

Liebe zur Fotografie begann mit 16 im Badezimmer Angefangen hat alles mit Martin. Martin war Leitolfs erste große Liebe, als sie 16 war. Martin fotografierte, mehr noch, er entwickelte seine Bilder im Badezimmer selbst. Es dauerte nicht lange, da entwickelte Eva Leitolf mit. "Es war ein irres Erlebnis, zu sehen, wie in der Schale das Bild vor meinen Augen wiederentsteht", erzählt sie mit einer Begeisterung, die jener der 16-Jährigen sehr nahe scheint. Das hat sie nicht mehr losgelassen. "Ich wusste einfach: Das ist es. Genau das muss ich machen." Sie machte es, Angst vor dem Scheitern hatte sie nie. So überdauerte ihre Beziehung zur Fotografie jene mit Martin um Jahrzehnte.

Mitte der Neunziger siedelte sie in die USA über, um in Los Angeles bei Allan Sekula zu studieren, dem Altmeister der fotografischen Recherche. Leitolf nennt ihn ihren "Mentor"; sein konzeptioneller Ansatz prägte sie nachhaltig. Zurück in Deutschland zog sie mit ihrem Mann auf einen Bauernhof im Bayerischen Wald - vom großen, lauten L.A. in einen Sieben-Höfe-Weiler ohne Supermarkt, Wirtschaft oder Kirche. Wenn Leitolf vor dem Apple-Computer in ihrem Arbeitszimmer sitzt, hört sie Kühe und Traktor des Nachbarn. Leitolf mag Gegensätze.

So stehen auch die Schönheit und Idylle jener Orte, die sie abbildet, in krassem Gegensatz zu den Brutalitäten, die sich dort zugetragen haben. Leise, fast beiläufig kommen die Fotos daher, in ihrer Summe aber sind sie schonungslos. Es ist eine Fotografie, die aus dem Dokumentarischen kommt, die aber zeigt, dass "deutsche Bilder" mehr sind als Becher-Schule, mehr als Gursky, Struth oder Ruff. Leitolf sucht ihre Themen nicht, sagt sie, sie wird davon ergriffen. Ein neues Thema nimmt sie schon wieder in Besitz. Nur das verrät Leitolf davon: Es ist wieder eine Spurensuche.

Die Ausstellung ist bis zum 19. Oktober, täglich außer Montag von 10 bis18 Uhr, Donnerstag von 10 bis 20 Uhr geöffnet.

- Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40

© SZ vom 25.07.2008/pir - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Pinakothek der Moderne
:"Deutsche Bilder - eine Spurensuche" von Eva Leitolf

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